Sep 18, 2025

Unsere Amerikareise oder wie wir unsere Schutzengel auf Trab gehalten haben

Reisetagebuch Amerikareise 18.8.-6.9.2025


Montag 18.8.: Tag der Ankunft und des entspanntesten Autovermieters der USA

5:15. Der Wecker klingelt. Ich schaue entsetzt mein Handy an und gehe tief in mich: Wer hat sich das ausgedacht? 

Ich philosophiere, wie ich noch ein paar Minuten gewinnen kann. Doch so wie das Fach Philosophie in der Schule breche ich auch dies vorzeitig ab: Es hilft doch alles nichts.

Unter der Dusche ändert sich mein Mindset: AMERIKA. Ich habe Bock.

Der große Bruder bringt mich zum Bahnhof. Ab in den Zug, natürlich verspätet. Sonst hätte ich mich bei der deutschen Bahn wohl kaum wohl gefühlt. Stumm danke ich dem Mann, der die Idee zu ihrer Privatisierung hatte. Wo würden wir in Deutschland hinkommen, wenn auch noch die Züge verlässlich wären?
Mir macht es nichts aus, genug Zeit habe ich dank meines heldenhaften frühen Aufstehens ja bereits.

Um 8:30 komme ich am Flughafen an. Natürlich am falschen Terminal. Noch 1:45 bis Punkt Alpha, der Abflug. 

Ich nehme einen der Busse und komme, wie durch ein Wunder, ohne zu drängeln, in ihn hinein.

Vor mir steigt eine verzweifelte Mutter aus. Ihre 17 Jährige Tochter hat den Cut nicht geschafft. Drama.

Ich stehe eng an eng mit anderen Menschen. Ihre Gesichter sprechen die vielen Sprachen dieser Welt. Doch die Vorfreude liegt in jedem.
Eine halbe Stunde später stehe ich im richtigen Terminal. Check-in steht auf der To-do-Liste.

Ich frage mich durch, bis ich beim richtigen Schalter bin. Wieder einmal bin ich begeistert, wie nett die Menschen sein können. Und das zu dieser diabolischen Stunde.

Ab ans Gate und das kaum zu früh. Timing.

Im Flieger passt der Rucksack nicht ins Gepäckfach. Die ersten Passagiere beginnen mich anzustarren, als ich es das dritte Mal versuche.

Ich blende sie aus. Voller Fokus auf mich und mein Problem. Ich kann keine Ablenkungen gebrauchen. Die Musik in meinem Ohr hilft mir, mich zu fokussieren.

Hier werde ich nicht scheitern.

In kühlem Kalkül, in abgezockter Manier erarbeite ich einen Lösungsansatz: Kleiner Rucksack nach oben, Großer unter den Sitz.
Bis der Flieger in der Luft ist, heißt es nun, mit schauspielerischen Fähigkeiten von dem zu großen Rucksack abzulenken. Die Beine werden links und rechts neben dem Übeltäter platziert. Dann kommt das Meisterstück dieser beinahe perfekten Illusion, die den Flugbegleitern das Nicht-Vorhandensein des Rucksackes vorgaukeln soll: Die Jacke, die eigentlich zur eigenen Wärmung gedacht war, wird scheinbar zufällig, jedoch absichtlich, exakt so platziert, dass der Rucksack im toten WInkel der Flugbegleiter liegt.

Wenig später heben wir ab: Es ist vollbracht.

Wir landen in Amsterdam mit einer guten halben Stunde Verspätung. Heißt für mich: Kaum vierzig Minuten Zeit.

Mit Musik im Ohr mache ich mich auf den Weg. Der Pass muss überprüft werden. 

Eine schrille Stimme lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Ich verstehe kein Wort.

Zeit bis Punkt Beta: 30 Minuten.

Ich komme nicht voran in der Schlange, die schrille Stimme ertönt wieder. In weiser Voraussicht habe ich bereits einen der Kopfhörer entfernt und verstehe sie: Passagiere, die um 12:45 starten, dürfen vor.

Mit einem Anflug von seligem Glück gehe ich an den anstehenden Menschen vorbei.
Im Flugzeug passt jetzt auch der neu gepackte Rucksack- Gut mitgedacht.

Ich sitze neben einem korpulenten Mann. Keine optimalen Bedingungen, aber nichts was mich zurückschrecken lässt. Der Kampf um die Armlehne ist schon nach wenigen Minuten mithilfe von taktischem Feingefühl gewonnen. Ich lasse mir mein Triumphgefühl nicht anmerken. Es muss so aussehen, als wäre dies mein Alltag.

Der Platz neben mir ist noch frei. Mit jeder Minute, die verstreicht, wächst meine Hoffnung. Könnte es etwa sein, dass er frei bleibt??

Jeder Passagier, der den Gang entlang läuft, sorgt dafür, dass mir das Herz in die Hose rutscht.
Doch keiner dieser Gestalten besitzt die Frechheit, sich neben mich zu setzen. Der Sitz bleibt tatsächlich frei. Innerlich triumphierend, zeigt wieder mal keine körperliche Regung meine Freude. Ich bleibe cool.

Ein Sitz weiter sitzt eine junge Frau. Sie lächelt mich an: Ist es die Freude, dass auch sie einen leeren Sitz neben sich hat? Ich stelle mir diese Frage, aber komme nicht dazu, sie für mich selbst zu beantworten, denn die Frau spricht mich an.
Natürlich verstehe ich kein Wort. Woher soll ich auch niederländisch können?
In charmanter Manier erkläre ich ihr, dass ich des Niederländischen kaum mächtig bin, jedoch das Englische für eine gepflegte Unterhaltung mehr als zur Genüge beherrsche.

Im Laufe des langen Fluges finde ich heraus, dass sie Bente heißt, aus den Niederlanden kommt und ihre Mutter Flugbegleiterin auf diesem Flug ist.

Ich erfahre dies und bleibe äußerlich cool: Nicht in die Karten gucken lassen.

Doch die Vorteile, die sich daraus ergeben, sind natürlich kaum von der Hand zu weisen.
Wir reden über LA und die Pläne, Disneyworld und Gott und die Welt. Wir spielen Two Player Games auf dem Ipad. Sie hat einen guten Humor.

Und sie sorgt dafür, dass ich einen steten Fluss an Eistee habe. Pfirsich Hibiskus.

Der Flug verfliegt. Nie in meinem Leben bin ich so angenehm geflogen. Nein, ich hatte sogar Spaß.

Danke einem Mädchen, dass ich nie wieder sehen werde. Verrückt, denke ich, als ich an der Kontrolle stehe.

Dank meiner exzellenten Planung ist diese kein Problem. Schnell bin ich mit dem WLAN des Flughafens verbunden und erhalte eine Nachricht von Daniel.
Treffpunkt Gepäckausgabe.

Natürlich ist er nicht da. Ich bleibe cool, suche die Toilette auf und dann ihn.

Irgendwann finden wir uns.
Und es geht ohne Umschweife in Richtung Auto: 45 Minuten zu Fuß durch die Straßen LAs. Schnell wird klar: Die Stadt ist nicht auf Fußgänger ausgelegt.

Der Plan ist einfach: Schnell das Auto holen und dann eine Unterkunft für die Nacht besorgen.

Der Mann von der Autovermietung Dollar zählt uns die Vorteile eines Trucks auf. Eins der Modelle steht direkt hinter der Scheibe. Wir fragen, ob wir es uns aus der Nähe anschauen können. Zweck der Untersuchung: Herausfinden, ob genug Platz zum Schlafen ist.

Mittels moderner Messung (Daniel legt sich neben das Auto) und dann tatsächlicher Begutachtung (Der Vermieter hat uns durch die Scheibe gesehen und mitgeteilt, dass wir das Auto auch öffnen können) finden wir schnell heraus, dass es zu klein wäre.

Wir lehnen dankend ab, rüsten aber auf guten Rat des Vermieters auf einen Hybrid auf. 10 Dollar mehr pro Tag. Wir rechnen kurz und stellen fest: Damit sparen wir Geld.

Alles erledigt, würde man denken.
Wir sind glücklich und hungrig, der Verkäufer ist glücklich. Alles was fehlt ist die Zahlung.
Daniel öffnet seine Kreditkarte und tapt. Zahlung abgelehnt.

Wir bleiben cool, der Vermieter auch.

Zahlung abgelehnt.

Daniel fällt auf, dass er ein tägliches Limit von 1000 Euro hat. Kostenpunkt des Autos: 1600 Dollar.

The math isn't mathing.

Wir versuchen, Geld von Daniels Wise Konto auf seine Kreditkarte zu verschieben. Es funktioniert, aber bringt uns nichts. Das Limit bleibt gleich.

Ich komme mit dem Verkäufer ins Gespräch. Er ist Lakers Fan. Wir einigen uns darauf, dass Lebron der GOAT ist und hören gute Musik.

Daniel versucht, sein Limit zu erhöhen. Er scheitert.

Ich unterhalte mich weiter. Es ist ein Radio, das da läuft, nicht wie angenommen jemandes Bluetooth. Der Verkäufer erklärt mir, dass diese Frequenz (94,5) keine Werbung hat.

Gemeinsam viben wir zu modern Hip Hop.

Daniel versucht, die Sparkasse anzurufen. Die Zeitverschiebung sagt nein.

Wir befinden uns schon eine Stunde am Schalter und sind davon überzeugt, mit Kreditkarte bezahlen zu müssen, da diese alles rund ums Auto versichern würde.

Der Laden würde auch Debit akzeptieren.

Ein weiterer Verkäufer kommt dazu, nicht um zu helfen, sondern um ein wenig zu schwätzen.

Er erzählt mir, dass er deutsch lernt und wir philosophieren zu dritt über die Hindernisse des Sprachenlernens. Sie sind vielfältig.

Im Hintergrund läuft das nächste gute Lied.

Daniel versucht noch immer, sein Limit zu erhöhen, ehe er aufgibt. Es ist 18:00 Uhr.


Wir besprechen mit dem Vermieter die Optionen, die wir haben. Wir denken noch immer, dass wir die Kreditkarte zwingend benötigen, um gegen alles versichert zu sein.

Er schlägt uns zwei Möglichkeiten vor. Beide sind nicht optimal.

Er fragt uns, wo wir schlafen, wir wissen es noch nicht.

Dann– Nach eineinhalb Stunden– kommen wir auf die Idee, nach der Versicherung zu fragen.

Die Antwort ist simpel: Es ist bereits alles versichert.

Eine Antwort, die uns ganz neue Möglichkeiten gibt. Wir rüsten auf Debitkarte um.

Wir sind jedoch nicht im Besitz einer Karte, die genug Geld hat. Wir erinnern uns, dass wir vor gut einer Stunde das Geld von der Debit auf die Kreditkarte verschoben haben.

Ich zücke mein Handy und verschiebe Geld. Dabei fühle ich mich wie Jeff Bezos.

Der Verkäufer bleibt entspannt. In den fast zwei Stunden, die es gedauert hat, kam kein einziges Wort der Hast von seinen Lippen.
Er fühlte sich pudelwohl.

"I'm good, chillin` with some good music. I have time.”, sind seine Worte, als ich mich nach einer Stunde für den Aufwand entschuldigte. Seine Körperhaltung, die er in beeindruckender Konstanz beibehält, unterstreicht seine Worte: Er liegt fast in seinem Stuhl. Chilling. Wir nutzen die ganze Zeit seinen Hotspot.

Die Zahlung geht durch. Ein Freudenschrei des Verkäufers, gefolgt von zwei enthusiastischen High-Fives und einem sehr männlichen Händedruck besiegelt den Deal.

Wir finden ein Hostel und buchen es.

Wir sind am Ende unserer Kräfte, aber wir sind in LA. Und wir haben ein Auto.

Also checken wir kurz ein, der Mitarbeiter ist ein jung gebliebener Mitte Dreißigjähriger, der aussieht, als würde er einen Surf- und Weed Shop in Australien betreiben und fahren dann in die Stadt.

Walk of Fame.

Wir müssen lange suchen, bis wir jemanden auf den Sternen finden, der tatsächlich so fame ist, dass wir ihn kennen. Ansonsten ist es einfach ein Bürgersteig.

Aber die Stadt ist atemberaubend bei Nacht und so entschließen wir uns, ein paar Runden zu drehen. Bis wir auf Lousiana Cuisine stoßen.

Fast Food, wie es sich für Amerika gehört, Chicken mit den besten Pommes, die ich seit langem gegessen habe.

Es ist 23:00 und ich bin Todmüde. Jetlag und so.

Wir wollen zum Auto.

Auf dem Weg werden wir angequatscht: “You guys down to play?”

Ich drehe meinen Kopf um die Quelle der Worte zu sehen.

Es ist ein älterer, schwarzer Mann mit Brille. Seine Augen scheinen sich darum zu streiten, welches von ihnen auf dem richtigen Weg ist, denn sie blicken in verschiedene Richtungen. Vor dem Mann, auf einem kleinen Klapptisch aufgebaut: Ein Schachbrett.

Daniel gibt ihm zehn kanadische Dollar und wagt ein Spiel. Er hat nie auch nur den Hauch einer Chance.

Ich beschränke mich darauf, mit dem Mann zu reden. Er ist Bayer Leverkusen Fan. Wir diskutieren die Bundesliga und während Daniel in hoher Konzentration spielt und für Züge lange braucht, scheint der Mann zufällig zu setzen. Er denkt nie wirklich nach.

Es geht um Harry Kane und seinen Titel Fluch und die Chancen der USA bei der nächsten Weltmeisterschaft. Ab und zu helfe ich Daniel.

Am Ende hat Daniel nichts mehr. Zerstört, nach allen Regeln der Kunst.

Und ich schlafe fast im Stehen ein.

Wir fahren zum Hostel.


Dienstag 19.8. Venice Beach und eine überfahrene Box

Ich wache auf. Ich taste nach meinem Handy. Ziel der Mission? Herausfinden, wie viel Uhr es ist. 6:00. 

Ich bekomme das Grinsen kaum aus meinem Gesicht, drehe mich um und schlafe glückselig wieder ein.

Ich erwache um 12:30. Volle Tatendrang stürme ich von der Empore, auf der wir geschlafen haben ins Wohnzimmer des Venice Beach Hostels.

Daniel arbeitet schon. Ich genehmige mir fünf Minuten Tiktok, ehe wir den Tagesplan festlegen.

Eine halbe Stunde später stehen wir vor dem Santa Monica Pier.
Ich möchte das Gefühl, dass ich verspürt habe, als sich meine Füße in den warmen, aber nicht heißen Sand des Strandes gebohrt haben und ich die unendliche Weite des Ozeans vor mir sah gar nicht beschreiben.
Ich könnte es nicht.

Es war paradiesisch.

Wir lassen den Anblick des gigantischen Steges auf uns wirken. Es ist eine Art Jahrmarkt auf ihm, mit Achterbahn und Riesenrad.
Nach einem kurzen Einkauf, die Straßen LAs beweisen wieder einmal, dass Fußgänger höchst ungern gesehen und nur gerade so toleriert werden, sitzen wir am Strand. Wir essen Baguette mit Schokolade (uraltes Familienrezept), trinken Pfirsichsaft und genießen.

Genießen die Sonne und das Meer, die Musik, die überall läuft und den Geschmack der Schokolade auf der Zunge.

Nach ein paar Stunden sind wir mit dem Santa Monicas Beach fertig. Der Venice Beach soll für Abwechslung sorgen und zu neuen Schwingungen beitragen. Die Umsetzung dieses Plans war einfach bewerkstelligt und so lagen wir nur wenig später am nächsten Beach und genossen. Auf dem Weg zwischen den Beaches begegnen wir einem autistischen Straßenmusiker. Ein Mitte Dreißigjähriger fährt auf Rollerblades vorbei, er pumpt Hip Hop. Wir viben mit ihm. 

Bis sich der Magen meldet. Und der hat bekanntlich immer Recht, uns fällt natürlich nicht ein, dieser Macht zu widersprechen. 

Ein Problem, das sofort angegangen wird. Nach kurzer, aber effektiver Beratung ist das auserkorene Ziel ein Mexikaner.
7 Dollar kosten drei Tacos und große Nachos. Ein sehr guter Preis, uns fällt nach dem Essen auf, dass unsere Mägen noch nicht zufrieden sind. Leider hat der Laden mittlerweile zu. Alternativen gibt es genug. 20 Dollar: Teuer, aber gut.

Wir essen und gehen dann dem Ziel des Abends nach: Das Triple, bestehend aus drei verschiedenen atemberaubenden Stränden, soll erreicht werden.

Als wir um 24:00 zurück ins Hostel kommen können wir uns Champion nennen.
Leider können wir keine triumphale Musik abstellen: Die Musikbox, die einzige uns verfügbare, war der Preis des Erfolgs.

In einer gewagten Ausparkaktion wurde sie schwer getroffen. Zu schwer verwundet, als das wir sie noch hätten retten können, mussten wir sie entsorgen.


Mittwoch, 20.08. Villen, geile Karren, Villen, geile Karren

Ich wache vor dem Wecker auf. Nach einem kurzen Moment der Freude (Jeder weiß, dass es nicht besseres gibt als vor dem gestellten Wecker aufzuwachen und dementsprechend wieder einschlafen zu können), enttäuscht ein Blick auf die Uhr mich: Es sind lediglich fünf Minuten.

Zeit, die ich als Vorsprung nutze und mir die Dienste jenes Wasserspeienden Instrumentes, das Dusche genannt wird, sichere.

Um 10:20 verlassen wir beinahe pünktlich das Hostel. Wir starten das Auto mit dem einfachen Ziel Hollywood.

Wir legen einen Zwischenstopp ein. Das Lächeln eines kleinen Bagel Shops, der taktisch klug neben einer Ampel platziert ist, lädt uns ein. Als gute Gäste lehnen wir eine solche Einladung niemals ab.

Der Cream Cheese Bagel ist fantastisch und gibt uns die Energie, unsere heutigen Schlafplatz Optionen zu besprechen. Nach einer kurzen Recherche wird schnell klar, dass es da, wo wir hinwollen (Malibu), keine Möglichkeiten gibt.
In unserer klassischen Manier ignorieren wir das damit zwingend zusammenhängende Problem, obdachlos zu sein, und fahren weiter.

Ziel ist es, ein paar Vorräte zu besorgen, als wir mit dieser Idee jedoch in Beverly Hills ankommen und bereits bei der Parkplatzsuche beinahe scheitern, wird uns beim Anblick des durchschnittlichen Autos der Gegend schnell klar, dass sie unser Budget eventuell überschreiten könnte.

Aber das Beverly Hills Schild ist kostenlos und so buchen wir eine Parkuhr (genau wie in den Filmen!!) und machen uns auf, um die ein oder anderen Instagram Fotos zu schießen.

Voller Positivität ob dieser einmaligen Erfahrung steuern wir kurz darauf einen Target an. Milch und Cornflakes müssen besorgt werden, genauso wie Schüsseln, Besteck, Kühlbox und weiteres Zeug, das man halt so braucht.

Aus dem Target können wir bereits das Hollywood Sign sehen.
Ein Anblick, den wir, mittagessend, wenig später am Rande des Griffith Observatory aus näherer Entfernung genießen können.
Nachdem das letzte Baguette, belegt mit Humus, Schinken und Salat, verspeist war und wir ein kleines Pläuschchen mit einer deutschen Familie gehalten haben, gehen wir in das Observatorium. 

Es ist interessant, natürlich. Aber uns reicht das nicht, wir suchen den großen Kick, das große AHA, den nächsten Schritt. Und finden ihn in einer Show der Sterne.

Wenig später liege ich in einem beeindruckend weichen Stuhl und schaue in die Sterne. Natürlich nur projizierte.
Es geht um die Frage, ob und wo es anderes Leben geben könnte. Die Show ist gut, sogar sehr gut und lässt das Gefühl zurück, unglaublich klein zu sein. Aber auf eine gute Art und Weise.

The final curtain fällt und wir drängen in einer Menschentraube aus dem Saal. Unser 20 Dollar schweres Parkticket (für 2!! Stunden) ist bereits abgelaufen. Äußerlich absolute innere Ruhe und Coolness ausstrahlend sieht unser Innenleben mit jeder Minute die verstreicht eher Gegenteilig aus.

Nichts passiert. Zum Glück. Keine 200 Meter, nachdem wir das Gelände des Observatoriums verlassen haben, wird klar, warum das Parken so teuer war: Die Menschen sind unendlich reich. Wir fahren durch die Hollywood Hills, den berühmten Mulholland Drive entlang und können in Anbetracht der Villen kaum aufhören zu staunen. 

Säulen folgen auf Pools. Bentley folgt auf Rolls Royce. Lamborghini steht neben Ferrari.
Fast eine Stunde brauchen wir, bis wir in Bel Air (The Prince!!) ankommen. Der Punk der Villengegend nahm in dieser Zeit kein einziges Mal ab.

Wir haben alles gesehen. Es wird auch schon dunkel, wir haken unser ursprüngliches Ziel Santa Barbara ab und fokussieren uns auf Malibu. Es reift die Idee des WIldcampens in uns heran. Bis uns auffällt, dass Daniel keine Matratze und wir kein Zelt haben. 

Also bleibt nur das Auto.
Wir suchen uns eine abgelegene Wohngegend (nicht optimal, man lernt aus Fehlern). Wieder spielt uns das Auto in die Karten. Dank einer göttlichen Fügung kann man die Sitze beinahe so weit zurückfahren, dass man eine Waagerechte hat.
Das Problem der Nacht wurde dementsprechend nicht die Bequemlichkeit sondern der Sauerstoff.

Ich schrecke hoch, um 3:00 Uhr nachts. Verzweifelt versuche ich die Hände, die meine Kehle gepackt haben und meine Luftröhre zerquetschen, von meinem Hals zu bekommen. Ich ringe mit ihnen, schnappe nach Luft und merke: Es gibt keine Hände.

Genauso wenig wie es Sauerstoff in dem Auto gibt, in dem wir seit vier Stunden schlafen. Wir haben vergessen, die Fenster aufzumachen.

Mit letzter Kraft wecke ich Daniel, der sonst wahrscheinlich im Schlaf erstickt wäre und wir aktivieren die Klimaanlage.

Ab da verläuft alles ruhig.


Donnerstag, 21.08. Walmart ist real!!

Die Nacht hatte Spuren hinterlassen. Ich wache auf und spüre, dass ich durchaus noch etwas Ruhe vertragen kann. Auch Daniel sieht es so, außerdem wäre das Aufsuchen einer Toilette durchaus zu unterstützen.

In der Nähe von Santa Barbara liegt die Lösung für beide Probleme. Ein Strand, mit Duschen und Toiletten, idyllisch gelegen und optimal dafür ausgelegt, in der Sonne ein kleines Schläfchen zu halten.

Wer uns kennt weiß, dass wir bei dieser Art von Unterfangen niemals zögern. Und während ich so da am Strand liege, Milky Chance höre und vor mich hin döse, bin ich stumm dankbar für das, was ich so erlebe.

Das Interessante an den ganzen Fahrten, die wir natürlich zurücklegen müssen, ist die beinahe lächerliche Schönheit des Pacific Coast Highway. Diese gehört eigentlich in jedem Tag betont, da ich dafür aber keine Kapazitäten habe, versuche ich sie hier nun einmal zu umreißen.

Man stelle sich vor, man isst eine von Vollmilch Schokolade umzogene Erdbeere. Die vom Weihnachtsmarkt. Dieses Gefühl ist die Aussicht, die ein einziger Punkt des Highways bereitstellt.

Nun muss man sich zusätzlich noch vorstellen, dass es sich nicht um eine einzige Erdbeere handelt, sondern um einen steten, nie ändernden Strom. Ein Strom, der nicht zu schnell ist, nicht zu viel, sondern der das perfekte Gespür für die Menge hat. Ein Strom, auf den man sich freuen kann, weil man weiß, er wird fließen.

Ungefähr so fühlt es sich an, diesen magischen Highway entlang zu fahren. Hinter jedem Hügel verbirgt sich eine Aussicht, die jeder Kunst spottet und es wirkt beinahe so, als lägen diese einzelnen Punkte im Krieg um den vollkommensten Blick und würden versuchen, sich innerhalb dieses Konfliktes immer weiter zu übertrumpfen.

Über sowas denke ich nach.

.
Wir gehen den nächsten Schritt auf unserer Reise innerhalb der Reise, möglichst viele US-amerikanische Fastfood-Läden zu besuchen und speisen einen Animal Style Burger. In and Out heißt der Laden und ist eine absolute Empfehlung wert. Unglaublich billig.

Frisch gestärkt nehmen wir uns der nächsten Herausforderung an: target. Von den dringend benötigten Gegenständen (Zelt, Luftmatratze, Decke) kaufen wir nur Decken. Nicht aus einer Laune heraus, sondern lediglich weil es die beiden anderen nicht gibt. 

Und wir besorgen eine neue Musikbox, wer uns kennt weiß, dass wir ohne dauerhafte Musik nur halb am Leben sind.

Nicht sehr zufrieden geht es weiter, im Hinterkopf spukt bereits die Option Walmart herum. Doch erst einmal geht es darum, Santa Barbara zu erkunden. Wir steuern den botanischen Garten an, laut ausgiebigen Recherchen ein absolutes Highlight und bis 5pm geöffnet. Um Punkt 3:30pm stehen wir vor dem Tor. Vor dem geschlossenen Tor.

“Today closing 3:30pm” steht auf einem Schild, von dem man wissen muss, dass es da ist, um es zu sehen. Ein Rückschlag.
Wir haben die Mentalität entwickelt, Rückschläge zu wollen. Denn wir sind, bescheiden gesagt, beeindruckend gut, aus Rückschlägen etwas Gutes zu machen (man bedenke unseren Versuch, nach Kroatien zu kommen). Also nehmen wir das Schild ganz gelassen und begeben uns zum Hafen der berühmten Stadt.

Es ist ein schöner Hafen, ein Hafen, in dem wir beobachten, wie ein sehr amerikanischer Amerikaner sein Boot aus dem Becken zieht. Doch unser eigentliches Ziel ist er nicht. Das liegt einen kurzen Fußmarsch entfernt, den wir voller Freude barfuß durch den Sand am Meer entlang zurücklegen. Der …. Pier, ein so großer Steg, dass er Platz für einen ziemlich großen Parkplatz birgt. Wir gehen ihn entlang und philosophieren darüber, dass ein Parkplatz auf einem Steg so ziemlich das amerikanischste ist, dass wir uns vorstellen können. Die mögen echt keine Fußgänger, die Amis.

Der Steg ist Wahnsinn, vor allem weil er den Blick auf die Stadt und den Strand ermöglicht. Da die Sonne bereits beginnt unterzugehen, erscheinen die Palmen, die jede Straße Kaliforniens säumen und an jedem der hiesigen Strände wachsen und immer für ein Bild vom Paradies sorgen, in roten Farbtönen. Im Hintergrund liegt ruhig wie ein Anker der Hafen, die Jachten erstrahlen in ihrer verdienten Pracht.
Wir setzen uns auf eine Bank am Ende des Steges, neben uns ist ein Fischer mit zwei Frauen. Sie trinken Vodka Maracuja und haben mindestens zehn Fehlalarme in den paar Minuten, die wir mit ihnen teilen. In der Ferne erheben sich die Berge, die in Zusammenarbeit mit dem Ozean den Highway einschließen. Ich verliere mich in der Unendlichkeit des Entdeckens, in den Details dieses von der Natur gebotenen Bildes.

Uns überkommt wieder einmal das Gefühl, im Paradies zu sein.

Ein Gefühl, mit dem wir zurück zum Auto gehen. Dabei kommen wir an einer Frau vorbei, deren Lächeln mich in meine Träume verfolgt. Sie starrt uns an, mit unnatürlichen, ja unheimlichen Augen und blinzelt nicht einmal. Wir fliehen auf die Toilette, als wir aus derselben heraustreten, ist sie noch da. Ihr Lächeln schwankt zwischen Wahnsinn und Nett. Nur wenige Schritte weiter kifft ein sechzigjähriger Kalifornier, Musik aus einem tragbaren Radio hörend. Rechts von uns baut ein Sandbildner eine Skulptur, nur wenige Schritte weiter spielt ein Straßenmusiker Gitarre. Es ist genau wie in den Filmen.
Frischen Mutes visieren wir einen einstündig entfernten Walmart an um zu bekommen, was noch nicht bekommen wurde.

Die Stunde verfliegt (Coast Highway und selbstfahrendes Auto regeln). Und der Walmart ist gigantisch. Galileo würde sagen: 5 Fußballfelder.

Daniel entdeckt einen Einkaufswagen, den man wie ein Auto fährt. Die Security- Dame reagiert zu spät, Daniel ist im Wirrwarr der Gänge verschwunden.

Auf mich ist sie hingegen vorbereitet:
“Those aren't toys” lässt mich aus meiner Konzentration, Daniel ein- und optimalerweise zu überholen, aufschrecken. Die Augen der betagten Dame sprechen Bände.

Aus der Nummer komme ich nur mit Resignation und Unterwürfigkeit heraus. Scheinbar ertappt und äußerlich den Folgsamen spielend, bringe ich den Wagen wieder zurück.

Daniel finde ich in dem Laden nicht mehr, also nutze ich das vorhandene WLAN und schaue ein wenig TikTok. Die Sucht muss gestillt werden.

Ich treffe Daniel bei den Kassen und uns fallen die Dinge, die wir vergessen haben, natürlich erst beim Auto auf.

Also nochmal rein, Sachen kaufen und raus. Beim Auto angekommen drückt die Blase.
Rein-entleeren-raus.

Endlich kann es losgehen.
Wohin eigentlich?
Wir wissen es nicht. Denn wir haben wieder keinen Schlafplatz.

Aber auch hier steht wieder schnell ein Plan. Einen abgelegenen Spot suchen und auf den frisch erworbenen Luftmatratzen unter Sternenhimmel und frisch erworbenen Decken schlafen.
Wir suchen einen Strand auf Google Maps heraus, der wie perfekt scheint: Kein Campingplatz in der Nähe, keine große Straße und die Möglichkeit, zu parken.

Auf halbem Weg dann das Undenkbare: Military Checkpoint. Es gibt keinen Campingplatz am Strand, weil er Teil eines riesigen Militärgeländes ist.

Wir stehen vor der Schranke, ich hinter dem Steuer, Daniel von seinem Laptop aufblickend und überlegen uns, ob es den Versuch wert ist, trotzdem durchzufahren.

Ein kurzer Blick ins Gedächtnis verrät: Donald Trump ist Präsident, wir befinden uns als deutsche folglich nicht auf dem sichersten Boden: Ein Bilderbuch gleicher U-Turn ist die Folge und der Setback all unserer idyllischen Ideen für die Nacht.

Wir erkennen, dass wir das Militärgebiet umfahren müssen, um noch Erfolgschancen zu haben und entschließen uns, den Highway weiter nach Norden zu fahren und nach vielversprechenden Straßen Ausschau zu halten.

Nach einer halben Stunde biegen wir in eine Straße ab, die diese Bezeichnung nicht wirklich verdient hat. Sie führt weg vom Meer, in die Berge und ins Landesinnere. Wir versprechen uns ein ungestörtes Plätzchen, um unser Lager aufzuschlagen.

Schnell wird klar, dass das nicht so einfach ist. Die meisten noch kleineren Straßen, die wir finden, sind per Schranke verschlossen.

Doch dann, irgendwann nach langem Rumgegurke, ist eine der Schranken offen. Eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen, ohne zu zögern, reiße ich das Steuer des Toyota Sonata um und lenke ihn in den kleinen Schotterweg.

Die Gräser, die in der Mitte desselben wachsen, reiben am Auto, doch das Gefährt lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Nach nur einigen hundert Meter halten wir die Stelle für angemessen.
Daniel besteht darauf, einen Lichttest zu machen. Er geht zurück zur Straße, während ich das Auto starte. Wir testen, ob wir theoretisch sichtbar sind. Ein deshalb so unnötiges Unterfangen, weil sowohl die Schranke als auch der Weg den Eindruck machen, seit den goldenen Zwanzigern nicht mehr benutzt zu werden. 

Der Platz besteht den Test.

Voller Tatendrang begeben wir uns in die mittlerweile ziemlich kühle Nachtluft. Ein Blick in den Himmel sorgt wieder einmal dafür, dass wir uns im Paradies fühlen. Die Sterne bringen ihr A-Game und verzaubern die Welt. Jetzt eine Chaya hier, denke ich kurz, ehe ich mich den Luftmatratzen zuwende.
Natürlich haben wir die billigste aller Pumpen gekauft.
Das Kabel, das wir für sie nutzen müssen, passt nicht ins Auto. Die einzige Option die bleibt, sind die Powerbanks. Langsam wird die Stimmung gereizt, zu lange suchen wir bereits nach diesem Spot, zu aufsässig ist die Pumpe, zu wenig klappt.
Ein Blick in die Sterne beruhigt die Gemüter.
Die Matratzen füllen sich langsam aber stetig mit Luft. Wir essen Croissants und überlegen, ob draußen schlafen unseren Vorstellungen entsprechen würde.

Nachdem wir unser Lager auf einer Lichtung innerhalb des Feldes, an dessen Rand wir parken, aufgeschlagen haben, beantwortet die Kälte die Frage.

Ich breche ab und nehme auf der Rückbank Platz. Daniel bleibt hart und legt sich im Freien zur Ruhe.

Um 5:00 klopft es. In heller Panik, ich muss ja quasi davon ausgehen, dass die Polizei uns erwischt hat, öffne ich die Tür. Die Alarmanlage schrillt los. Ich habe vergessen, das Auto auch aufzuschließen.

Nach einigen Schrecksekunden, natürlich hat uns niemand gehört, wir sind am Arsch der Welt, stelle ich das Geräusch aus.

Die Feuchtigkeit der Nacht treibt Daniel zurück ins Auto, er nimmt auf dem Beifahrersitz Platz.


Freitag, 22.08. Die Polizei und wir

Ich wache auf, geweckt von den süßen Strahlen der Sonne und wechsel erst einmal den Platz. Aus dem Auto geht es auf unsere kleine Lichtung, ich finde meine Matratze so vor, wie ich sie zurückgelassen habe und liege schneller, als ich darüber nachdenken kann, bereits auf ihr. Die Sonne wärmt mich, während ich ein kleines Päuschen vom Schlaf der Nacht halte.

Als wir unsere Matratzen abbauen, kommt ein Auto mit zwei Rangern vorbei. Ich bin sehr überrascht, sieht der Weg doch kaum so aus, als würde er Ranger akzeptieren. Natürlich bleiben wir cool, ich grüße die beiden Männer und sie verschwinden hinter der nächsten Kurve.

Der wohl größte Nachteil des Wildcampens ist zweifelsohne der, dass es keine Sanitäranlagen gibt. Wer jedoch den menschlichen Körper in seinen Grundzügen kennt weiß, dass dieser sie benötigt, um sich wirklich auf der Höhe fühlen zu können.

Nach dem Aufwachen streben wir aus diesem Grund einen Strand an, der alles benötigte zur Verfügung hat.
Daniel wendet geschickt unseren Schlitten und wir rollen langsam den Weg hinab, den wir in der Nacht zuvor so heldenhaft bezwungen hatten.

Die Schranke ist zu. Natürlich.

Ich steige aus, um die Kette, die es hält, zu begutachten. Ich hege keine großen Hoffnungen, denn alle Tore, an denen wir zuvor vorbeigekommen waren, hatten ein Schloss.

Aber als ich an der Kette angelange, verrät mir ein gekonnter Blick, dass es sich um nichts weiter als einen Schnappverschluss handelt. 

Aufgemacht- durchgefahren- zugemacht.

Wir biegen links ab, den Anweisungen von Google Maps folgend. Der (höchstens) Feldweg wird noch verwucherter und ich steige aus, um die Möglichkeit der Weiterfahrt zu untersuchen. Schnell wird klar, dass sie unmöglich ist. Auch Google Maps liegt mal falsch.

Man kann nicht wenden, also werden die Meter bis zum Tor rückwärts zurückgelegt.

Kaum eine Minute zu früh kommen wir am Strand an. Es wird getan, was getan werden muss und dann füllen wir direkt nach. Cornflakes mit optimal gekühlter Milch, dazu Multivitaminsaft und der Blick über den Ozean, angestrahlt von der perfekten Sonne.

In den Dünen des Strandes lassen wir uns nieder. Ich werde aus meinem Lesefluss gerissen, weil zwei Pferde kaum einen Meter von uns entfernt durch die Dünen schreiten. Die Menschen, die sie lenken, sind beeindruckend fit, wenn man bedenkt, dass sie so aussehen, als könnten sie sich selbst kaum halten. Ihr Pferd haben sie jedoch unter Kontrolle.

Es ist ein großer Strand, auf dem viele Reiter unterwegs sind und auf dem man, ihr habt es erraten, natürlich parken kann. Getreu dem amerikanischen Stil kann man quasi ins Wasser fahren und muss, um zu baden, keinen Schritt zu Fuß gehen.

Daniel geht ins Meer, ein Unterfangen, das ich aufgrund der Kälte des Wassers ablehne und mich stattdessen der körperlichen Ertüchtigung in Form von Krafttraining (endlich!! Wollte es eigentlich jeden zweiten Tag…) annehme.

Irgendwann macht Daniel mit.

Nach abgeschlossenem Workout ist vor der (dringend benötigten) Dusche. Wir nutzen sportwissenschaftlich korrekt Ice Bathing als Muskelentspannung, denn die einzige Dusche, die uns zur Verfügung steht, ist eiskalt. Das Beste draus gemacht fühlt sich das Auto fahren jetzt um einiges sauberer an. Wir fahren ein wenig und uns fällt auf, dass es 6pm schon überschritten hat. 

Da sich der Magen meldet, suchen wir einen Laden aus, der auf dem Weg zum Big Sur liegt. Bei ihm angekommen erkunden wir erst einmal die Umgebung.

Wir stoßen auf eine Erdtreppe, die ganz offensichtlich menschgemacht ist und gut fünfzig Stufen den Berg hinaufführt. Natürlich folgen wir ihr, in heller Aufregung ob dem, was uns erwarten könnte.

Es erwartet uns… nichts.

Die Treppe endet bei einer Art natürlichen Terrasse. Aber dass hier mal Menschen waren, sogar so oft, dass sie eine Treppe bauen, lässt sich nicht erkennen. Nach wenigen Schritten ist die Hose von Kletten bedeckt, wir blicken auf den Highway. Autos.

Der Burger, den wir danach essen, ist phänomenal. Preislich bei 7 Dollar, geschmacklich bei einer 9/10. Es wird nicht viel besser.

Ich liebe auch die Pommes, Daniel findet sie überwürzt.

Irgendwann brechen wir auch von da auf. Für diese Nacht sind wir frei wie die Vögel, also schwingen wir uns einfach auf den Highway und halten Ausschau.

Wir biegen in den ersten kleineren Weg ein. Schnell wird uns klar, dass wir hier keinen Erfolg haben. Genauso geht es uns bei drei weiteren Versuchen, doch wir stecken nicht auf.

Um uns komplett fokussieren zu können, schaltet Daniel an einem Weg die Lichter aus.

Dumm nur, dass wir vergessen, sie wieder einzuschalten. Immerhin für eine lang genuge Zeit, dass die Polizei auf uns aufmerksam wird.

“Was ist das für ein Licht da?”, fragt Daniel und um seine Frage beantworten zu können, drehe ich mich um. Blau-rot blinkend folgt uns einer jener schwarzen Trucks, die in den Filmen so häufig explodieren.

Panik macht sich in uns breit: Wir haben keine Ahnung, warum wir angehalten werden. Doch nach außen bleiben wir cool.

Daniel fährt die nächste Möglichkeit vom Highway, der Truck stellt sich hinter uns.

Unschlüssig, was wir nun tun sollen, bleiben wir ruhig und mit sichtbaren Händen sitzen. Hier falscher Ehrgeiz kann ungesund werden.
Der Officer klopft, wir wenden uns der Fahrerseite zu, weil wir annehmen müssen, er befindet sich dort. Niemand da.

“This way”, ertönt seine Stimme und erst da wird mir klar, dass der Officer auf meiner Seite ist. Ich öffne das Fenster und begrüße ihn.
Woher wir kommen und wohin wir möchten, fragt er. Und er erklärt uns, dass unser Licht aus war und sie uns deshalb angehalten haben. 

“You got any weapons in the car or stuff we should know about?” “No, we good.”, antworte ich. Typisch Amerika, denke ich
Er fragt Daniel nach Ausweis und Führerschein, zwei Dokumente, die er nicht direkt zur Hand hat.

Er muss sie suchen, steht auf und geht zur Rückbank. In den Rucksäcken wühlend, verstreichen die Sekunden wie Stunden.

Ich habe derweil einen Plauderton angeschlagen und unterhalte mich mit den Polizisten über die Schönheit Kaliforniens. Langsam spüre ich, wie die Nervosität Daniels und auch der Officer steigt.
Dann, endlich, findet er sein Portmonee und kann mit geforderten Dokumenten dienen.

“Ya´ll are good to go.”, bestätigt der Officer, ehe er uns erklärt, dass der Highway 1 in einigen Meilen gesperrt ist. Er erklärt, wie wir durch die Berge kommen würden, empfiehlt uns aber, umzudrehen und auf 101 zu fahren.

“Have a good one.”, die klassische amerikanische Verabschiedung wird ausgetauscht und die beiden Officers (SEHR nett) steigen in ihren Wagen.

Wir warten, bis die Polizisten weg sind und drehen natürlich nicht um.

Eine hervorragende Entscheidung, denn wir finden einen Parkplatz am Fuße des Salmon Creeks, an dem wir uns so geneigt hinstellen, dass die Sitze nun tatsächlich eine Waagerechte darstellen.

Die angenehmste Nacht im Auto bis hierher ist die Folge.


Samstag, den 23.08. Klettern um Leben und Tod

Ich wache auf und spüre sofort, dass der Tag alles Potenzial der Welt hat. Wie jeder Tag eigentlich, doch heute verspüre ich unbändige Energie.

Daniel geht es ebenso und so gehen wir, ohne etwas zu frühstücken, los, um den Salmon Creek zu erkunden. Es handelt sich dabei um einen beeindruckenden Berg, durch den sich ein kleiner Fluss schlängelt, der mit den Salmon Falls das Highlight der ganzen Nummer beherbergt.

Schnell finden wir den Trail (er war ja auch ausgeschildert) und entscheiden uns, den Schildern zum Wasserfall zu folgen. Schnell folgt die Ernüchterung: Wir finden zwar den Bach, aber nicht den Fall.

Der Bach schlängelt sich durch Unmengen von großen und kleinen Steinen, unterbrochen von kleinen Wasseransammlungen, von denen kleine Stromschnellen durch das Gestein weiterführen. Es ist malerisch, obwohl mit Sicherheit kein Künstler der gebotenen Schönheit gerecht werden könnte.

Und es sind die optimalen Bedingungen, um auf den Steinen, also quasi auf dem Bach, flussaufwärts zu wandern. Es ist eine Kombination aus Klettern, Springen und Gehen. Und es macht unfassbaren Spaß.  Bereits am Anfang dieser Reise meldet sich bei mir wieder der Übermut. Ich sehe zwei relativ weit auseinander liegende Steine:
“Denkst du, ich kann den Sprung?”, frage ich Daniel. “Save.”

Gesagt, getan. Gesprungen, gefallen.

Ich habe den Sprung nicht geschafft, im Nachhinein äußerst vorhersehbar. In dem Moment hatte ich nasse Schuhe und eine nasse Hose.

Nichts, was uns aufhalten kann. Wir streben flussaufwärts, in der Hoffnung, den Wasserfall auf diesem Wege zu Gesicht zu bekommen.

Wenig später rutsche ich noch einmal aus, es bleibt alles beim Alten: Nass war ich sowieso schon. Ich danke Gott stumm dafür, dass ich nicht umgeknickt bin und sehe vor meinem inneren Auge bereits den Kreuzbandriss. Doch wir machen weiter, nichts kann uns aufhalten. Kein Stein ist zu hoch, kein Sprung zu tief. Die Knie machen ganze Arbeit, federn, wo sie federn müssen und schnellen hervor, wo sie hervorschnellen müssen.

Und dann, irgendwann, stehen wir im wahrhaftigen Paradies. Ich weiß, ich sage das oft. Aber das hier ist noch ein Level drüber.
Der See, der uns den Weg versperrt, ist von hohen Felsen eingesäumt. Zu unserer Rechten erhebt sich ein einziger, ungefähr 8 Meter hoher Stein aus dem Bach. Links von uns befindet sich der Abhang des Berges, der in das Tal führt. Der See wird von Stromschnellen gefüttert, die über braun-graue Steine fließen. Das klare Wasser lässt zu, den Grund zu sehen. Er ist ziemlich weit entfernt.
Man könnte den großen Stein erklimmen, uns ist aber schnell klar, dass wir keine Motivation fürs Klettern aufbringen können. Also muss es mitten durch gehen.

Auf der rechten Seite des Sees ist das Wasser flach genug, dass es nur bis etwas über die Knie geht. Da ich eh schon nass bin, einigen wir uns einstimmig auf mich als Kundschafter dieser Option.

Ich halte mich nah am Fels und taste mich langsam aber stetig nach vorne. Das Wasser ist nicht wirklich kalt, es erfrischt mich. Auf halbem Weg ziehe ich T-Shirt und Jacke aus, Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich pose für ein paar Instabilder, dann geht es weiter. Das Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Ich lege eine Pause auf einem kleinen Fels ein und evaluiere mit Daniel die Lage. Nach diesem Fels ist das sonst vollkommen klare Wasser durch die Stromschnellen nicht zu durchblicken und in mir wächst die Vermutung heran, dass das Wasser dort ziemlich tief ist.
Ich teile Daniel dies mit, aber wir kommen trotzdem zu dem Schluss, dass wir es versuchen sollten.

Im ersten Schritt wirft Daniel mir seine Wasserflasche zu. Warum das der erste Schritt ist? Ich weiß es nicht. Es ist mit Sicherheit auch nicht nötig.

Und vor allem ist es nicht erfolgreich. Der Wurf ist so schlecht, dass es mir unmöglich ist, die Flasche zu fangen. Er ist sogar so schlecht, dass ich ihn nicht wirklich als Wurf bezeichnen möchte, sondern lieber auf den Begriff Versuch zurückgreife, denn er erinnerte mich an die ersten Versuche eines Babys, zu gehen.

Wie dem auch sei, die Flasche liegt jetzt im See. Klar ist, dass wir sie nicht in der Natur liegen lassen werden. Die Frage ist, wie wir an sie herankommen.

Daniel versucht es mit einem Stock. Ich versuche, mit Steinen die Richtung zu verändern, in die sie abdriftet. Beides scheitert.

Im nächsten Schritt wate ich, mit einem langen Stock bewaffnet zu einem Stein, der relativ mittig im See aus demselben herausragt. Doch auch das reicht nicht.
Es bleibt nichts anderes übrig: Daniel springt hinein ins kühle Nass.

Die Flasche ist gerettet. Und Daniel am erfrieren.

Dummerweise hat er seine Klamotten an jenem Fels liegen lassen, an dem ich bei meiner Erkundungsmission am rechten Rand des Sees die Pause gemacht habe. Ich wate also dorthin, während Daniel ans Zielufer schwimmt und das Hindernis somit schon überwunden hat.
Die Klamotten werden über die paar Meter geworfen (Kein Problem), dann werden die Handys in die Jeans eingewickelt hinüber befördert. Jetzt fehle nur noch ich.

Ich entscheide mich spontan dazu, dass mir das Klettern doch lieber ist, als noch nasser zu werden, als ich bin. Also kämpfe ich mich den Fels hinauf, kein einfaches, aber ein erfolgreiches Unterfangen.

Ich wage mich an die Spitze des Felsens und was soll ich sagen? Noch mehr Paradies. Was ein Blick.
In mir wächst sofort die Vision eines ins Wasser tauchenden Daniels heran. Wir schaffen es, mir ein Handy zukommen zu lassen und setzen die Vision in die Wirklichkeit um. Die Bilder und Videos habe ich bis jetzt (24.08.) nicht gesehen.

Doch das Coolste am Felsen war das Seil, das befestigt an einem Ast über ihm hängt. Als ich es sehe, bin ich begeistert. Daniel will es testen, aber eine tiefergehende Analyse macht schnell klar, dass dies äußerst gefährlich wäre. Das Seil scheint zu kurz und der Felsen zu hoch. Die Stelle, die für so eine Höhe tief genug wäre, befindet sich gut drei Meter vom Fels entfernt. Man kann es schaffen, keine Frage, aber bei etwas falschem Timing kommt man auf Felsen auf. Ein Risiko, das wir nicht eingehen.

Ich klettere, natürlich auf der anderen Seite, vom Fels herunter. Hier sind Seile angebracht, die es einfach machen. Wir fragen uns, wer hier, komplett ab vom Weg, einen Seilsprung aufbaut, vor allem auf einem nicht leicht zu erreichenden Felsen. Wir einigen uns auf Backpacker.

Munter geht es weiter, bis uns irgendwann die Lust verlässt. Wir haben akzeptiert, dass wir den Wasserfall so nicht finden werden und verspüren einigen Hunger: Wir wollen zurück zum Auto.

Aber wie?

Ich bin dafür, den gekommenen Weg zurück zu laufen; es spricht wenig dagegen: Wir wissen mit Sicherheit, dass er uns zum Auto führt, kennen mittlerweile einen einfachen und verlässlichen Weg um den See herum und haben Spaß am Über-die-Felsen-Klettern. Aber wir kennen den Weg: Das heißt, wir wissen, wie lange wir unterwegs sein würden. 

Und Daniel sieht eine Alternative: Auch wenn es natürlich keinen Empfang gibt, zeigt die ungeladene Version von Google Maps an, dass nicht weit entfernt der eigentliche Wanderweg verläuft.

Daniel ist davon überzeugt, dass wir lediglich ein wenig den Berghang hinaufklettern müssen, um mit einem angenehmen Abstieg über den richtigen Weg belohnt zu werden.

Ich blicke in Richtung des Hanges, den Daniel meint. Und wenn ich Hang sage, müsste ich eigentlich Wand sagen. Denn weit von den 90 Grad ist er nicht entfernt. Gerade so geneigt, dass es noch möglich ist, ihn zu erklimmen.

Ich habe keine Lust, mit Daniel zu diskutieren und füge mich seinem Vorschlag. Er bildet die Vorhut, testet ob ein Klettern Sinn macht. Festgefahren in seiner Idee sagt er nach einigen Metern NATÜRLICH, dass es geht.

Ich folge ihm. Nahe am Bach säumen Bäume und Gestrüpp den Hang, eine hilfreiche, aber auch gefährliche Kletterhilfe. Eine Wurzel, an der ich mich festhalte, löst sich. Für eine Sekunde verliere ich den Halt, ehe ich mit meinen Füßen festen Stand finde. Ein Blick in die Tiefe, der Bach ist zehn Meter entfernt, verrät mir, dass abrutschen wirklich sehr ungünstig wäre.

Nach fünfzehn Minuten des stillen Kletterns, des Fluchens, wenn sich mal wieder die Erde löst und des Schocks, der bei jedem doch losen Griff entsteht, dreht Daniel sich um.

“Hier waren Menschen”, sagt er, und Hoffnung keimt auf.
Doch als ich die Stelle passiere, die er meinte, frage ich mich, was er dort Menschliches gesehen hat: Ich erkenne keine Anzeichen, ja nicht einmal eine Spur.

Und der weitere Aufstieg zeigt schnell, dass ich Recht habe.

Nach weiteren fünfzehn Minuten lichtet sich der Hang. Er ist jetzt nur noch mit trockenen Gräsern und losem Geröll versehen und wird noch steiler. 80 Grad.

Meine Oberschenkel beginnen langsam zu brennen und ich spüre die Schürfwunden, die ich mir an Dornen und anderem Gestrüpp zugezogen habe, immer deutlicher.

Die Lust am Klettern ist schon lange vergangen, die Lust an dem Ausblick, den wir so gewonnen haben, jedoch nicht. 

Und so harren wir aus, bestaunen die Aussicht. Weit entfernt von uns sehen wir das Meer, an dem paradiesisch (JA! Ich sage es schon wieder) der berühmt berüchtigte Pacific Coast Highway entlang läuft. Er wirkt wie eine Grenze zwischen den Bergen und dem Meer, nichts außer dieser Straße trennt diese beiden der beeindruckendsten Naturmonumente. Wieder sage ich: Kein Foto, kein Bild, kein Gemälde kann diesen Anblick einfangen; Nichts würde ihm gerecht werden.

Ich wende meine Augen vom Ozean ab und lasse ihn in die Berge schweifen. Bestimmt eine halbe Meile unter uns befindet sich die Schlucht, aus der wir uns erhoben haben und uns wird klar, wie weit wir schon gekommen sind. Das Problem: Kein Weg in Sicht.

Wir ändern unsere Strategie: Ich lasse Daniel viel Vorsprung. Der Erfolg dieses Konzeptes wird nur wenige Sekunden, nachdem Daniel losgeklettert ist, sichtbar: Nicht weit von mir entfernt rauschen von ihm losgetretenen Steine in die Tiefe, wobei ihre Geschwindigkeit faszinierend hoch ist.
Mir wird klar, dass ich einen solchen Stein nicht abbekommen möchte, also warte ich noch ein wenig länger, ehe auch ich mich an den Aufstieg mache. Es ist 12:00 Uhr, mein Magen knurrt. Wir sind seit drei Stunden unterwegs. Und mein mitgenommener Eistee ist leer.

Schlechter könnten die Umstände kaum sein, aber tapfer, mit dem Herz eines Kriegers, kämpfen wir uns weiter. Jeder Blick nach hinten verrät, dass ausrutschen oder ein loser Stein, dem man zu viel seines Gewichtes anvertraut, tatsächlich mit dem Tod enden kann.

Gedacht, gemacht.

Ein Stein, an dem ich mich festhalten will, bricht ab. Meine Füße finden keinen Halt im sandigen Boden. Ein Reflex von mir versucht, sich an einem der Gräser festzuhalten, doch ich bekomme es nicht gegriffen.

Die plötzliche Bewegung sorgt dafür, dass ich mich um neunzig Grad drehe. Mein Arsch zeigt jetzt zum Hang.

Ich rutsche ab und weiß, dass es ihr keinen Halt für mich gibt. Gut zwei Meter unter mir sehe ich die Rettung: Ein kleiner Busch, der stabil genug scheint, mein Gewicht zu tragen.

Ich steuere darauf zu und tatsächlich. Mein Fall wird gestoppt.

Stumm danke ich Gott für den Busch und werfe einen Blick in die Tiefe: Das war knapp, viel zu knapp.
Als ein Mann des Lebens, der ich nunmal bin, wende ich von nun an doppelte Vorsicht an. Einige Meter weiter oben wartet Daniel auf mich. Er hat ein Radio gefunden.

Ein Radio, mitten auf einem Berghang, an einer Stelle, an der vor uns mit Sicherheit noch kein Mensch war. Es ist sehr alt, vielleicht aus den Fünfzigern, etwas kaputt und tragbar.

Es passt in meine Tasche. Wir entschließen uns, dieses Relikt mitzunehmen. 

Der Aufstieg geht weiter, ich rutsche aus und fluche kurz, Daniel warnt mich vor einer schweren Stelle. Er rutscht weg, fängt sich aber wieder.

Ich bin begeistert, dass sich keiner von uns den Knöchel verletzt hat.

Und plötzlich, nach über einer Stunde des Kletterns, des Kampfes um Leben und Tod, mit brennenden Oberschenkel und aufgeschürften Händen, hören wir Stimmen.

Und wir finden den Weg.
Es stellt sich heraus, dass der Weg tatsächlich nicht weit vom Bach entfernt liegt. Auf Luftlinie, also die Ansicht, die Daniel als Grundlage für seine Idee des Kletterns genommen hat.

Dumm nur, dass wir dabei nicht bedacht haben, dass wir uns in den Bergen befinden. Und wir keine Flügel haben.

Der Wanderer, den wir treffen, sagt, dass wir etwas mehr als eine Meile den steilen Berghang hinauf geklettert sind. Eine, um bescheiden zu bleiben, sportliche Höchstleistung.

Der Weg zurück zum Auto fühlt sich an wie ein wahrgewordener Traum, er führt malerisch durch die Natur des Berges, offenbart immer wieder Blicke auf den Salmon Creek, jene Schlucht, an der unsere Reise begonnen hat und führt uns schnell zurück zum Auto.
Wir tanken Flüssigkeit nach (Es gibt hier eine Art Pfirsichsaft, die gemischt mit Wasser hervorragend schmeckt).

Das Knurren des Magens lässt sich nicht länger ignorieren und so setzen wir uns ins Auto und fahren den Highway entlang. Unsere Erfahrung hat uns gelehrt: Es wird nicht lange dauern, bis wir einen krassen Spot finden.

Und natürlich hält der Highway auch diesmal was er verspricht. Wir halten an einem Aussichtspunkt. Unter uns liegt ein Sandstrand. Der Sand ist schwarz. Die Lagunen, die sich hinter einem schützenden Erdwall gebildet haben, bieten einen ruhigen Kontrast zu den aufgepeitschten Wellen des Meeres. Natürlich strahlt die Sonne herab, beinahe arrogant bescheint sie das Wasser und scheint auf uns niederzulachen.

Wir frühstücken um 13:00.

Dann folgen wir dem Highway. Wir wissen, dass er irgendwann gesperrt ist, wissen aber auch, dass es eine Straße über die Berge gibt. Und wir wollen diese Straße finden.

Als wir auf den gesperrten Abschnitt treffen, merken wir, dass unser erster Anlauf gescheitert ist.

Wir wenden und fahren deutlich langsamer zurück. In jede Seitenstraße, sei sie auch noch so klein, wird hineingeschaut, fast alle sind mit Schranken versperrt. Bis es eine doch nicht ist. Natürlich biegen wir ab und fahren steile, geschlungene Straßen über den Berg hinaus. Es erinnert mich an den Weg zur Villa Paradiso, auch wenn die Natur von anderer Beschaffenheit ist.

Natur, die wir nach einigen Minuten wieder bestaunen: Wir treffen auf einen Aussichtspunkt. Und diese Aussicht werde ich wirklich nicht beschreiben und es wirklich nicht versuchen; es gibt keine Worte.

Irgendwann fahren wir weiter und uns wird langsam klar, dass wir uns auf einem falschen Weg befinden.
Ein Amerikaner läuft vorbei. Daniel hält an, steigt aus und sprintet ihm hinterher. Außerhalb meiner Sichtweite holt er ihn ein.

Als er zurückkommt, weiß er, wo wir lang müssen.

Wir folgen den Anweisungen des Amerikaners, schleichen durch die Berge, durch gewundene Gassen und Wege, auf denen zwei Autos, die aufeinander zukommen, ein unüberwindbares Problem darstellen würden. Wir fahren durch eine Militärbasis und kommen endlich, nach über einer Stunde rumgegurke (Aber wundervolle Natur) auf Freeway 101 an.

Wir fahren bis zum Big Sur, gehen zu einem Wendy's (alle Fast Food Ketten müssen getestet werden) und kaufen dann ein, was noch einzukaufen ist.

Wir kaufen Croissants und Nutella. Und noch anderes Zeug, das ich als unwichtig im Vergleich zu diesem Goldkauf empfinde.

In der Nähe vom Big Sur finden wir in einer Seitengasse einen geneigten Platz. Wir werden wieder auf “Betten” schlafen.

Das Croissant schmeckt himmlisch.



Sonntag, den 24.08. Ich liebe den Pacific Coast Highway

Wir suchen schon eine Weile nach einem Spot, der unseren bisherigen Frühstücksorten gerecht wird. Die Messlatte liegt hoch, dessen sind wir uns bewusst, während wir jede noch so kleine Bucht als Option in Erwägung ziehen.

Wir finden nichts und so frühstücken wir an diesem Morgen am Rand des Highways, im Auto und mit Blick auf zwei große Bäume und eine kaum zu erkennende Schlucht.

Es ist nebelig unterhalb des Pacific Coast Highways, der Dunst liegt dicht auf dem Meer. Man sieht keinen Tropfen Wasser, kein Korn Sand.

Das Interessante ist, dass ab etwas unter unserer Höhe absolute Klarheit und beinahe strahlender Sonnenschein herrscht. Es ist ein beeindruckendes kleines Schauspiel, das die Natur an diesem Morgen abzieht. Ein interessantes Phänomen, das jedoch eine schöne Aussicht, die sonst am Highway quasi garantiert ist, nicht zulässt.

Wir lassen uns nicht entmutigen (Warum sollten wir auch??) und entschließen uns nach dem ausgewogenen Frühstück (neben drei Schüsseln Cornflakes gab es noch eine Banane) die nahe unseres improvisierten Parkplatzes liegenden MacWay Falls zu erkunden. Wir fahren also zu dem offiziellen State Park (ungefähr zwanzig Meter von unserem Frühstücksort entfernt) und erkennen mit messerscharfen Augen, dass wir zehn Dollar!! blechen müssten. Kurzerhand und voller Verstand entscheiden wir uns dazu zu, zu unserem vorherigen Stellplatz zurückzukehren.
Wir verlassen uns in der Folge gänzlich auf die Kraft unserer Beine. Eine Kraft, die nicht sonderlich stark in Anspruch genommen wird.

Der Wanderweg, der zum Wasserfall führt, ist gesperrt. Bauarbeiter bringen ihn in einen besseren Zustand, perfekt für künftige Gäste, ungünstig für uns.

Natürlich stecken wir nicht auf und fahren den Highway zurück in Richtung Big Sur. Unser Ziel sind Tracks in den Berg oder hinab zur Küste.

Doch zuerst wird unsere Aufmerksamkeit von einem Aussichtsspot beansprucht. Es ist mittlerweile aufgeklart. Wir blicken hinab auf das Meer und einen absolut steinfreien Strand, der beinahe weiß leuchtet. Hinter der Einbuchtung verläuft weiter der Highway hart am Berg entlang, er scheint beinahe in ihn hineingemeißelt zu sein. Er windet sich um die Ausläufer des Berges, nur um dann hinter ihm zu verschwinden. Ein wenig zur Linken, sieht man, wie der Highway auf der anderen Seite der Einbuchtung weiter gehen kann: Eine zweibögige Steinbrücke überwindet den Abgrund. Sie liegt traumhaft im Schein der Sonne und erinnert in ihrer Architektur an die Bogenbrücken der Römer.

Es bietet sich uns ein Bild, dass die Schönheit der Natur mit der Schönheit des Menschgemachten verbindet. Es schafft eine natürliche Verschmelzung dieser beiden Gegebenheiten. Einmalig.

Wir sehen uns satt und fahren weiter. Es läuft Hip Hop.

Mehr durch Zufall entdecken wir einen Weg, der zum Meer hinab führt. Ḱurzerhand parken wir das Auto und stürzen uns ins Abenteuer. Direkt zu Beginn teilt sich der Track auf: Ein Teil führt auf einen Hügel, ein anderer Teil hinab zum Meer. Selten wird eine Entscheidung schneller getroffen, als wir diese treffen. Es geht natürlich bergab.

Der Weg schlängelt sich durch Ansiedlungen geschützter Büsche und offenbart nach kaum hundert Metern den ersten nahen Blick aufs Meer.

Es befindet sich eine Meeresbucht an seinem Fuß, geschnitten und gelegen wie für Piraten gemacht, so versteckt, dass sie nicht einfach zu entdecken sein müsste. Wir folgen dem Weg und gelangen an dessen Ende. Wir befinden uns noch immer einige Meter über dem Meer und beobachten angetan dessen Treiben. So schön dieses ist, uns treibt die Neugier.
Wir gehen bis zu einer der Abzweigungen zurück und wählen den anderen Weg; wir wollen direkt ans Wasser.

Der Weg führt auf die andere Seite der kleinen Landzunge, auf der wir uns befinden.
Wir sind schon fast am Ende des Landes angekommen, als ich einen kleinen Pfad finde, der von dem zugegeben auch sehr kleinen Weg weg führt, zögere ich nicht lange und biege in ihn ab. Daniel folgt mir.

Wir entdecken eine Mini-Bucht, einen kleinen Strand, auf den man nur durch den mehrmetrigen Abstieg an geneigter Wand gelangt. Dieser Fakt und die Geschütztheit, die von der etwas geneigten Rückwand abstrahlt, erinnern mich an den Roman “The Beach”. Diese kleine Bucht erinnert mich, natürlich in deutlich kleineren Maßstäben, an den Hauptschauplatz des Buches. Ich erzähle Daniel davon. Das Buch endet brutal.

Nicht so wir. Wir genießen den Platz aber halten uns nicht zu lange auf. Wir streben nach einem Felsen, der aus dem Meer ragt. Wenn ich aus dem Meer rage sage, ist das wahrscheinlich etwas übertrieben, aber der Abstand zum wirklichen Festland beträgt immerhin einen Meter, man muss also sogar einen großen Schritt machen.

Wir schreiten von Felsen zu Felsen, eine Aktivität, die extrem viel Spaß macht, bis wir am äußersten Plateau angekommen sind.

Auf dem Weg begegnen wir einer kleinen Familie, die sich an einem der Pools, die sich auf den Steinplateaus bilden, ausgebreitet hat. Wir sind uns sicher, dass das Wasser angenehm warm ist.

“Aus stehendem Gewässer soll man nicht trinken.”, sage ich, als wir den Horizont betrachten.

“Was?”, fragt Daniel, den ich offenbar aus seinen Gedanken gerissen hatte.

“Das ist giftig.”, sage ich.

“Was meinst du?”, fragt er.

“Stehendes Gewässer. Aus fließendem kann man locker trinken, aber bei diesem stehenden bilden sich Bakterien und so ein Zeug.”
“Und bei fließendem werden die weggeschwemmt oder was?”, fragt er.

Ich weiß es nicht und halte kurz inne. Da ich nicht sicher weiß, warum sie sich bei fließendem Wasser nicht bilden, antworte ich mit meinen typischen nichtssagenden Phrasen: “Ja genau, das habe ich so mal gehört.”
Elegant schiebe ich mit dieser letzten Hinzufügung jegliche Verantwortung von mir, sollte ich nicht Recht behalten.

Wir schauen weiter auf das Meer. Dann, plötzlich sehe ich eine Rückenflosse: "Delfine!" schreie ich. Daniel sieht sie noch nicht und ermahnt mich, leise zu sein.

Dann sehe ich die zweite Rückenflosse und zeige es Danie. Jetzt sieht er sie und ist dabei mindestens genauso begeistert wie ich. Wir schauen fasziniert zu, wie die beiden Delfine die Küste entlang schwimmen und irgendwann in den Wellen des Ozeans verschwinden. Leider springen sie nicht.

Wir sind uns darüber im Klaren, dass uns der Big Sur nicht mehr bieten kann als diese Delphinbeobachtung und wollen ihn diesbezüglich auch nicht herausfordern. Das wäre seiner Schönheit gegenüber keineswegs berechtigt.

Zwanzig Minuten später stehen wir im Hafen von Monterey. Wir haben es schwer, uns zu verständigen. Grund dafür sind die menschfernen Geräusche, die vom Wasser hinüber schallen. Ganz die Entdecker, gehen wir dem auf den Grund.

Und finden die Antwort in hunderten von Seehunden, die im abgesperrten Bereich am Dock liegen, sich auf die Stege an den Booten verteilt haben oder das flache Wasser des Strandes bespielen.

Sie sind witzig: Eins der großen Tiere robbt sich einfach über zwei andere drüber. Und weil die Aktion nicht schon unelegant genug ist, sieht der anschließende “Sprint” so aus, wie ich es mir vorstellen wenn eine in einer Mäusefalle gefangene Maus ihre Falle hinter sich herzieht und sich dabei nur mithilfe der Vorderbeine bewegt. Obwohl selbst das graziler wäre als das, was dieser Seehund dort veranstaltet. Aber er kommt an sein Ziel. Das muss man ihm lassen. In ungebremster Neugier möchten wir herausfinden, warum gerade hier in Monterey so viele Seehunde leben.

Des Rätsels Lösung befindet sich in eine der vielen Infotafeln: Das Meer vor Monterey ist Teil einer Schutzzone (ich habe den offiziellen Namen vergessen). Das heißt hier wird Öl und Müll besonders aufmerksam gefiltert, wodurch es sich um einen der saubersten Abschnitte der Westamerikanischen Küste handelt.

Wir entschließen uns, die Stadt ein wenig zu erkunden. Immerhin haben wir ein Parkticket für zwei Stunden gekauft.

Wir schlendern also so dort entlang, als wir auf die berühmte Cannery Row treffen. Also scheinbar ist sie berühmt, denn sie ist erstens voller Touristen und zweitens finden wir eine Statue mit Persönlichkeiten, die die Straße so berühmt gemacht haben. An der Spitze steht der Autor des Bestseller Romans “Cannery Row”. Macht Sinn.

Sightseeing macht hungrig und unsere Wahl fällt auf In-N-Out. Man erkennt, dass Kreativität bei uns nicht gegeben ist. In einem hellen und weisen Moment hatten wir uns am Anfang der Reise dazu entschieden, keinen Gaskocher zu kaufen, sondern, FALLS wir warm essen, dies in irgendeinem Laden zu tun.

Der Gedanke ist im Prinzip gut. Wenn man ihn auch so umsetzt, wie er gedacht ist: Nämlich, dass man nur höchstens jeden zweiten Tag warm isst. Daran halten wir uns nicht.

Wir essen und zocken Clash Royale. Duo, natürlich sind wir mehr oder weniger unbesiegbar.

Mit vollem Bauch treten wir die zwei Stunden Fahrt bis San Francisco an. Die Sonne beginnt bereits unterzugehen.

Und was soll ich euch sagen: Das waren die beiden besten Stunden Fahrt, die ich je in meinem Leben hatte. Diese Fahrt war ein Urlaub im Urlaub. 

Dabei spielen uns zwei Sachen in die Karten: Erstens ist unser Auto so geil, dass es einen Tempomat hat, der auch eine eingestellte Entfernung zum Vordermann hält, also auch bremst. Und es besitzt eine Art Spurhalteassistenten, der aber so gut ist, dass er auf nicht zu verworrenen Straßen selbst lenken kann. Kombiniert man diese beiden Dinge und befindet sich auf dem Highway, fährt das Auto von alleine.

Und zweitens, der hauptsächliche Grund, ich denke, ihr könnt es euch schon denken: Der verdammte Pacific Coast Highway. Hinter jedem Hügel und nach jeder Kurve ist die Aussicht wieder mal breathtaking, wie der Brite sagen würde. Zwischendurch halten wir an und verspeisen einen selbst kreierten Bagel mit Schmierkäse, Bacon und Salat.

Natürlich ist der Parkplatz, auf dem wir halten, in traumhafter Lage.

Wir kommen in San Francisco an und werden von riesigen, grell beleuchteten Werbetafeln begrüßt, die den Freeway säumen. Daniel entdeckt diverse Werbungen für AI und es ist schwer, eine Stelle ohne Werbung zu finden.

Wir finden unser Hostel, parken irgendwo, wo wir bis 1:00 nachts wieder weg sein müssen und checken ein. Das Hostel ist deutlich größer als das in LA, unser Zimmer, das wir mit sechs anderen teilen, ist ziemlich klein. Aber wir werden wieder in einem Bett schlafen!:)))

Natürlich gehen wir nochmal los. es ist gerade mal 21:30. Unsere Beine tragen uns beinahe wie von selbst zum Meer. Die Skyline der Stadt ist beeindruckend und auch wenn wir an diesem Abend kaum etwas von ihr sehen, beginnen wir uns in sie zu verlieben.

Auf dem Weg zum Auto, wir müssen ja noch umparken, kommen wir an vier Mittzwanzigern vorbei. Das alleine wäre wohl kaum eine Erwähnung wert. Aber der Fakt, dass sie mit einer schweren Eisenkette auf eine niedrige Mauer schlagen, und der Lautstärke des Aufpralls nach zu urteilen durchaus feste, pflanzt kleine aber feine Bedenken in mein Gehirn. Wir passieren unbeschadet.

Es fällt generell auf, wie viele Obdachlose die Straßen säumen. Sie sind nicht nur in den Nebengassen, sondern auch auf den Hauptstraßen und sogar auf Plätzen. Sie tun mir leid und ich würde ihnen gerne helfen. Aber ich tue es nicht.

Wir parken um. In Chinatown finden wir eine Straße, in der Dienstags gesäubert wird. Erleichtert stellen wir das Auto dort ab.

Das Gefühl, nach vier Nächten Auto in ein Bett zu fallen, möchte ich nicht beschreiben. Das würde die Magie stehlen.


Montag, 25.08. Der Knast der Knäste

Ich stehe unter der Dusche. Unter einer warmen Dusche, nicht einer der Eiskalten, die es an den Stränden so gibt.

Ich höre Frank Sinatra und spüre: Der Tag wird gut.

Fünf Minuten, nachdem wir das Hostel verlassen haben, werden wir niedergeschlagen. Nicht körperlich.
108 Dollar. 108. Ist die Zahl, die auf dem kleinen verräterischen Zettel steht, der unter unsere Windschutzscheibe geklemmt ist. Der gestern noch so phänomenale Parkplatz ist auf einmal ein Spinnennetz, aus dem wir nur mit Einsatz von 108 Dollar (JA! Ich betone es nochmal) hinauskommen.

Geschockt von diesem Rückschlag suchen wir erstmal einen Parkplatz, auf dem wir bis zum Tag unserer Abreise stehen können. Wir haben uns entschlossen, San Francisco zu Fuß kennenzulernen. 

Wir werden fündig, die drei Tage kosten nur 78 Dollar, was für ein Deal.
Es ist schon deutlich später als geplant und der erlittene Schock muss verarbeitet werden. Dafür greifen wir auf unsere Lieblings Methode zurück: Burger.

Wir finden einen kleinen, typisch amerikanischen Schuppen, der aber offensichtlich in mexikanischem Besitz ist.

Ich versuche, zu bestellen.

Der Mann hinter dem Tresen antwortet mir, er scheint auf etwas hinweisen zu wollen. Ich erkenne sofort: Hier müssen alle meine Sinne geschärft sein, damit ich den angestrebten Burger irgendwann bekomme.

Mit dieser Erkenntnis fokussiere ich mich ganz auf die Worte, die aus seinem Mund kommen. Und tatsächlich: Ich schaffe es, sie zu verstehen.

Ich schließe meine Bestellung ab und er fragt, wie ich mittlerweile weiß, ob ich einen Beleg haben möchte.

“Excuse me.”, sage ich.

Er wiederholt seinen Satz, ich bin chancenlos.

“I’m sorry. What did you say?”

Er sagt es mit anderen Wörtern, Wörter, die ich beim besten Willen nicht verstehen kann.

Ich gucke ihn nur an und muss lachen. Er stimmt ein und drückt mir den Beleg in die Hand. Jetzt verstehe ich, was er mich gefragt hat.

Er bringt mir den falschen Burger. Ich bleibe cool.

Nach ein paar Minuten fällt ihm sein Fehler aus und er bringt den Salat, der gefehlt hat. Es ist kein schlechter Burger.

Nachdem wir die Technik und weiteres, dass wir für die vier Tage brauchen (man kann täglich nur bis 17:00 zum Auto) zum Hostel gebracht haben, brechen wir tatsächlich mal auf.

Ziel: Alcatraz. Wir gehen durch China Town. Der Stadtteil hat sich seinen Namen redlich verdient. Überall sind Restaurants, Supermärkte und Läden und sie alle sind chinesisch beschriftet. Über den Straßen hängen die typischen Ballons und geben einem ein klein wenig das Gefühl, dort zu sein (auch wenn ich das eigentlich nicht sagen kann, weil ich noch nie in China war).

Wir gelangen zum Union Square. Dieser Platz ist mit Freizeitangeboten überhäuft. Es gibt Tischtennisplatten, Schachbretter, Basketball (in klein) und vieles weiteres. Wir haben nicht die Zeit, alles auszuprobieren, aber wir werfen ein paar Körbe.

Das absolut geplante Gittermuster der Stadt sticht uns in die Augen, als wir in Richtung des Cable Cars gehen, das uns zur Fähre bringen soll. Man kann für städtische Verhältnisse beeindruckend weit schauen, auch wenn die sehr steilen und hügeligen Straßen, die sich überall befinden, diesen Blick ab und zu unterbrechen. Es ist beeindruckend, wie steil manche dieser Straßen sind. Direkt neben unserem Hostel liegt die vielleicht steilste von ihnen und jedes Mal, wenn wir daran vorbeigehen, staunen wir.

Wir finden die Haltestelle unseres Cable Cars, das eigentlich kein Car ist. Es ist mehr oder weniger eine ziemlich alte Straßenbahn. Es hat einen eigenen Scham, keine Frage, dazu kommen die unendlich geraden Straßen und die beeindruckende Sicht, die man aus diesem Grund hat. Die (Schwarz-) Fahrt ist zu schnell zu Ende. Oder zu langsam. Denn unsere Fähre ist laut Plan zwei Minuten, bevor wir aussteigen, abgefahren.

Zu unserem Glück hat das Fährunternehmen bereits mit unpünktlichen Menschen gerechnet und uns die Zeit eine halbe Stunde vor Abfahrt angegeben. 

Also stehen wir eine halbe Stunde am Pier 33, ehe wir auf die Fähre können. Aber wir haben es geschafft (so wie eigentlich alles).

Wir landen auf der Insel und werden von einem der Park Ranger in Empfang genommen. Er erklärt uns, dass die letzte Fähre um 18:30 geht und versichert uns, dass sich der West Walk rentiert. 

Wir gehen erstmal zur Red Power Ausstellung, aus dem einfachen Grund, dass sie in einer halben Stunde zu macht. Es geht um die 19 Monatige Besetzung von Alcatraz, die im Jahr 1969 begonnen hat. Ziel: Alcatraz, das ursprünglich natürlich Land der Indianer war, wieder zu deren Land zu machen.

Hauptsächlich Studenten sind es, die unterstützt durch Spenden und Lieferungen auf der Insel Stellung beziehen. Sie scheitern, der ausschlaggebende Punkt ist ein Feuer, das ihre Unterkünfte zerstört. Die verbleibenden zehn Studenten werden von der Polizei entfernt.

Die Ursache für das Feuer wurde nie geklärt. Wäre ja auch ziemlich dumm von Kalifornien zu offenbaren, dass sie das Feuer gelegt haben.
Das ist jedenfalls unsere Reaktion, als wir aus der Ausstellung herausgehen. Wir sind uns sicher, dass diese Steinhäuser, auf einer windigen Insel, nicht durch irgendeinen Zufall abbrennen konnten. Aber wer sind wir schon?

Die Ausstellung ist unglaublich interessant, so interessant, dass wir die letzten im Gebäude sind.
Der Park Ranger (eine junge nette Frau), weist uns zum dritten Mal darauf hin, dass die Zeit um ist, als wir den Trakt verlassen. Es ist der Arbeitstrakt des Gefängnisses.

Ein Schild verrät uns, dass hier ein unbewaffneter Wärter mit einem Hammer von Insassen getötet wurde. Nicht besonders schön.

Wir gehen weiter und kommen am eigentlichen Gefängnis vorbei. Doch wir wollen zuerst den empfohlenen West Weg testen und lassen das Gebäude dementsprechend erstmal links (eigentlich rechts) liegen.

Und was soll ich sagen? Der Tipp hatte Recht.

Wir blicken auf San Francisco, sind beeindruckt von der Skyline. Die Häuser der Stadt gehen fließend in Strände und Stege über, zu unserer Rechten befindet sich die wunderschöne Golden Gate Bridge, während wir links die annähernd so beeindruckende Oakland Bay Bridge sehen. Wäre der Wind nicht so gnadenlos, wir würden wahrscheinlich Stunden hier verbringen.

Doch so gehen wir ins Gefängnis. Schnell ist die Audio Tour angelegt (auf deutsch) und der Rundgang wird gestartet.

Noch bevor ich play drücke, bin ich fassungslos. Wir stehen vor der ersten Zelle. Ich würde sie eher Mausefalle nennen, denn viel größer ist sie nicht.

An der rechten Wand befinden sich zwei Eisenplatten, hochgeklappt. Die eine ist etwas höher angebracht, sie ist der Tisch, während die tiefere als Stuhl fungiert.

An der linken Wand der circa zwei mal eineinhalb Meter großen Zelle befindet sich das Bett, ein Eisengestell, das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu kurz für einen erwachsenen Mann ist. Dahinter ist eine Toilette in die Wand eingelassen, daneben ist ein winziges Waschbecken.
Das wars. Mehr gibt es nicht. Es sind keine Poster erlaubt, keine Möbel oder sonstige Annehmlichkeiten. 

Ich reiße mich von dem Anblick los und beginne mit der Tour. Sie ist aus der Sicht von vier Häftlingen und vier Wärtern gestaltet.

Die Häftlinge mussten, wenn sie neu ins Gefängnis kamen, den Hauptgang (    ) nackt entlang laufen. Keine Ahnung, wer sich so etwas ausgedacht hat.

Man kann das Gefängnis eigentlich grob als Hölle zusammenfassen. Zum Beispiel mussten Häftlinge aus den banalsten Gründen in Einzelhaft, komplett dunkle Zelle und keinerlei Kontakt zu Menschen. Sie durften einmal wöchentlich duschen und für eine einzige Stunde Sport machen.

Je länger die Führung geht, desto klarer werden zwei Gedanken: 

  1. Wer war der Meinung, dass diese Menschen jemals rehabilitiert werden können?

  2. Welches sadistische Schwein ist in der Lage, so zu handeln? Tagtäglich.

Natürlich waren die meisten Häftlinge üble Gesellen.

Aber als ich in der Mensa ankomme, dem einzigen Gemeinschaftsraum, in dem die Häftlinge dreimal täglich für 20 Minuten aßen, sehe ich eine Infotafel.

Es geht um einen Mann, der aus Hunger 26 Dollar gestohlen hat. Er wurde zu 25 Jahren Haft verurteilt und in Alcatraz von Wärtern erschossen, weil er einen ihrer Befehle akustisch nicht verstanden hatte.
Ich komme an der Bibliothek und dem Besucherbereich vorbei, auch wenn er diese Bezeichnung wahrlich nicht verdient hat. Es sind lediglich drei etwas größere Löcher in der Wand.

Ich erfahre etwas über den berühmten Ausbruch von 1962. Drei Männer hatten mithilfe von Löffeln ihre Lüftungsschächte vergrößert und waren im Nebel am Strand verschwunden. Weder sie noch Leichen von ihnen wurden je wiedergefunden.

Ich bin durch mit der Tour, als ich es entdecke.

Mitten im Hauptgang stellt ein älteres Paar ein Stativ mit Handy auf. Daniel sieht es auch. Entsetzt schaut er zu mir rüber.

Dann passiert es: Sie halten Händchen, küssen sich und posieren auf andere Arten für die Kamera.

Mitten an einem Ort, der grausamer nicht hätte sein können. Wir sind ein wenig fassungslos und machen uns aus Reflex über die beiden lustig.

Es ist 18:00 Uhr und unsere Freundin von der Red Power Ausstellung taucht wieder auf. Die Zeit ist mal wieder um.
Daniel bleibt gelassen, er hört sich die Tour weiter an (Wie kann man so langsam sein?).
Wir nehmen die allerletzte Fähre. 

Einmal bei den Piers angekommen, begeben wir uns zum berühmten Pier 39. Im Großen und Ganzen ist das eine Art Jahrmarkt, auf einem Steg. Und es ist anscheinend ein Paradies für Seehunde, denn im ganzen Hafen des Steges tummeln sich die Tiere, chillen auf Stegen und genießen ihr Leben.

Wir beobachten sie. Etwas abseits befinden sich, direkt neben einem Boot, drei von ihnen. Einer dieser drei ist auf dem Steg, die anderen beiden sind im Wasser.

Wir wollen sehen, wie die plumpen Tiere es schaffen, aus dem Wasser auf die Erhöhung zu kommen. Und da, einer der beiden im Wasser versucht es.

Naja, eigentlich schafft er es.

Wäre da nicht der Platzhirsch. Dieser scheint sich nämlich angegriffen zu fühlen und beißt. Und verhindert, dass er Gesellschaft bekommt. 

Dieses Spiel wiederholt sich. Und es macht kaum Sinn. Denn der Steg ist so groß, dass sie beide ohne jede Probleme auf ihn passen würden. Aber es muss halt nicht alles Sinn machen.
Wir wandern weiter und werden von einem spielenden Saxophon angelockt. Wieder eurer Erwartung ist es aber nicht die Qualität des Spielers, sondern die Überzeugung, mit der er falsch und grässlich spielt, die uns fasziniert.

Nur wenige hundert Meter weiter bekommen wir dann den Optimalfall geliefert. Der Mann, der da spielt, ist phänomenal und vielleicht, so denken wir, das Vorbild des ersten Spielers.

Wir kommen am Meer an. Die Sonne beginnt unterzugehen. Das nenne ich Timing.

Wie genießen. Alles.

Und bekommen, nachdem die Sonne verschwunden ist, Hunger.

Was machen? Burger!
Ja, unser Konsum dieser amerikanischen Spezialität nimmt langsam krankhafte Züge an, aber In N Out ist Preis-Leistungstechnisch nunmal das Beste, was man bekommen kann.

Während wir auf unsere Bestellung warten, zocken wir. Denn damit macht man nie etwas falsch.

Außer man verspielt so den Akku des Handys, das den Weg zurück zum Hostel anzeigen soll. Aber natürlich machen wir genau das.

Jetzt kommt uns das weiter oben beschriebene Gittermuster der Stadt zu Gute.

Wir wissen zwei Sachen: Unser Hostel befindet sich tendenziell oben und es liegt sehr Nahe an einer der beiden schrägen Straßen, die durch die gesamte Stadt verlaufen.

Auf Grundlage dieser Gedanken ist der Weg zurück ein Kinderspiel. Auch wenn wir einiges an Zeit benötigen. Es ist eine große Stadt.

Eine Stadt, in die wir beginnen uns zu verlieben.


Dienstag, 26.08. Waymo, wir lieben dich

Ich swipe aufs nächste Video. Scrollen. Tiktok am Morgen, ich gebe zu, dass ich das in den letzten Tagen durchaus vermisst habe. Also genieße ich es heute morgen noch mehr. 

Ob die Videos gut oder schlecht sind, ist nicht von zentraler Bedeutung. Es geht eher darum, das große Ganze zu zelebrieren. Und das tue ich.
Und wir verpassen das Frühstück. Ich finde, der Preis hat sich gelohnt. Außerdem hat Daniel sowieso noch geschlafen.

Wir begeben uns trotzdem in den Salon des Hostels und zwar aus zweierlei Gründen:
Erstens müssen die technischen Geräte dringend geladen werden und zweitens ist es Zeit für eine Arbeitssession. Daniel macht irgendein Programmierzeug und ich schreibe an diesem Tagebuch (ich gebe an dieser Stelle gerne zu, dass ich keinesfalls jeden Abend den erlebten Tag geschrieben habe).

Außerdem basteln wir uns einen Plan, während uns eine Angestellte bewaffnet mit einem Staubsauger und einem Putzlappen ungemütlich nah auf die Pelle rückt. Nichts, von dem wir uns aus der Ruhe bringen lassen würden.

Der Plan ist so einfach wie genial: Eine Art Rundweg über die Lombard Street, die Golden Gate Bridge und den gleichnamigen Park, die Painted Ladies und das Rathaus.

Wir werden ihn natürlich nicht schaffen.

Nach einem halbstündigen Fußweg kommen wir an Station Nummer eins an: Die Lombard Street. Bezeichnet als die most crocked street of the world liegt ihr Reiz in meinen Augen an dem Kontrast, den sie bietet.
Im Gegensatz zu den geraden, geplanten Gitterstreifen der Stadt, die betoniert von ebenfalls betonierten Bürgersteigen umgeben sind, schlängelt sich diese Straße den Abhang hinunter.

Sie ist gesäumt von Blumenbeeten und kleinen Büschen und ist mit roten Steinen gepflastert. Sie ist das Gegenteil der sonstigen Straßen der Stadt.

Wir laufen die Treppen, die sie säumen, hinauf und treffen, natürlich, auf Deutsche (ich sage euch, man kann den Deutschen nicht entfliehen).

Gemeinsam beobachten wir, wie kleine, gelbe, dreirädrige Gefährte mit eingebautem Audioguide die Straße hinunter hecheln. Ihr habt es erraten: Die Stimme, die in den Autos etwas über die Straße erzählt, spricht deutsch.

Wir müssen darüber mit dem jungen Ehepaar, das wir getroffen haben, lachen. 

Wir nutzen die Möglichkeiten der Straße und schießen ein paar Bilder. Vielleicht werden sie später auf Insta zu sehen sein.
Auf dem Weg zur Golden Gate Bridge bleiben wir an einem Picknickplatz mit geradezu lächerlicher Aussicht hängen. Wir sind uns sofort einig, dass diese Brücke jedem Ruhm gerecht wird. Das ist ein wahrhaftes Wahrzeichen.

Wir passieren die Brücke, indem wir unter ihr durchgehen und stoßen auf einen kleinen Trampelpfad, der zu jenen Stränden führt, die mehr oder weniger am Fuß der Brücke liegen.

Wir entscheiden uns, nicht nach unten zu klettern, sondern suchen uns zwei Steine, von denen wir die Brücke und den endlosen Horizont des Meeres im Blick haben. Es ist keine Wolke zu sehen, kein Nebel, nichts, das uns die Sicht versperren könnte.

Und so sitzen wir dort und schauen. Und ich kann euch versichern: Man kann sich nicht satt schauen.

Irgendwann gehen wir weiter, uns ist mittlerweile klar, dass wir unseren Plan nicht mehr schaffen werden. Aber wir wollen wenigstens noch den Golden Gate Park sehen. Wir kämpfen uns durch Trampelpfade, bis wir auf die alten Stationierungen der Küstenabwehr stoßen. Die Betongebäude erleichtern das Vorankommen ungemein.

Auf dem Weg zum Park entscheiden wir uns spontan, einen Burger zu essen. Doch heute wollen wir uns mal etwas gönnen. Kein Fastfood.

Wir finden einen Laden, bei dem man der Köchin beim Zubereiten der Mahlzeit zuschauen kann. Ich möchte an dieser Stelle den Kellner ins Rampenlicht rücken. Er war hervorragend. Genauso wie der Burger, als wir den Laden verlassen, sind wir wieder voller Tatendrang.

Und stoßen kurze Zeit später auf den Park. Er ist gigantisch. Und es ist dunkel. Ein Umstand, der dazu führt, dass wir ihn nicht vollkommen überblicken können.

Aber wir sind in San Francisco. Da gibt es immer etwas zu sehen.

Wir entschließen uns, einfach etwas rumzulaufen. Wir treffen unzählige Läufer und andere Gestalten, das Highlight des Abends trifft uns jedoch vollkommen unvorbereitet.

Wir werden von Musik angelockt und lassen uns von unseren Ohren führen. An der Quelle angekommen, sehen wir ungefähr fünfzehn Menschen, die zur Musik und mit Leuchtstäben behangen immer und immer wieder auf einer kleinen Betonplatte im Kreis fahren. Es ist amüsant.

Irgendwann meldet sich wieder der Magen. Schnell ist ein Einkaufsladen aufgetan. Das Abendessen für heute lautet Brioche mit Schokolade.

Was für ein Abendessen!!! Ich weiß nicht, ob es an der Schokolade oder dem Brioche liegt und versuche dieses Geheimnis zu ergründen, als wir auf einer Bank des Parks sitzen und speisen. 

Es ist mittlerweile schon wieder 23:00 und wir vernichten jegliches Gebäck im Handumdrehen.

Ein kurzer Blick auf Google Maps verrät uns, dass es zwei Stunden dauern würde, nach Hause zu laufen. Ein Commitment, das wir nicht bereit sind einzugehen.
Wir sehen darin eher eine optimale Gelegenheit. Die Möglichkeit, die selbstfahrenden Autos, die die Straßen San Franciscos bevölkern, auszuprobieren.

Schnell ist die App installiert und eines der Fahrzeuge bestellt. Es braucht lediglich fünf Minuten, bis es bei uns ist.

Wir steigen in das Waymo ein und es fährt los. Und was soll ich euch erzählen? Es ist Weltklasse. Das Auto fährt sauberer als es jeder Mensch könnte und bringt uns in 22 Minuten zum Hostel. Kostenpunkt: Nur 15 Dollar.
Es wird nicht besser.

Und weil wir es rund lieben, beschließen wir, den Tag so abzuschließen, wie wir ihn begonnen haben: Wir arbeiten.


Mittwoch, 27.08. Wir wollen auswandern.

Heute schaffe ich es, Tiktok und Frühstück unter einen Hut zu bringen. Mein Magen dankt es mir. Wir gehen zum Auto, um unsere Dreckwäsche zu holen. Erfolgreich waschen und hängen wir sie auf (Keinen Tag zu früh).

Ein Flyer des Hostels bringt uns zu Professor Seagulls. Getränke ohne Alkohol, die laut Verkäuferin aber auch knallen, Pilze und Marihuana werden verkauft. Alles vollkommen legal. Bei Weed wundert uns das nicht, aber dass hier Pilze verkauft werden, ist suspekt. Wir sprechen mit der Verkäuferin und finden heraus, dass dies nur in San Francisco geht und unter religiösen Gesichtspunkten.
Sie gibt uns eine Art Prospekt. Es geht um die Church of Mother Gong. Eine Art Kirche, bei der die Wirkung der Droge scheinbar genutzt wird, um der Mother näher zu kommen. Oder so.

Wir verstehen es nicht so wirklich und stellen zwei Theorien auf:
Entweder handelt es sich um eine Art Sekte, die über den Konsum von Drogen neue Mitglieder an Land zieht.

Oder, und das halten wir für wahrscheinlicher, es gab vor Jahren ein paar Menschen, die sich überlegt haben, wie sie legal Pilze konsumieren können. Und die sind dann eben auf die Idee eines religiösen Vorwandes gekommen.
Wir wissen es nicht, aber der Laden ist auf jeden Fall ziemlich interessant.

Wir kaufen Brioche und Nutella, natürlich auch Schokolade. Der Fehler liegt darin, wie sich später herausstellt. Denn diese Schokolade kommt nicht an die Gestrige heran. Wie sollte sie auch? Sie hat keine Chance. Zudem schmilzt sie in dem mal wieder perfekten Wetter auch noch. Naja.

Wir wollen zu den Painted Ladies und stoßen auf dem Weg dahin zufällig auf den Salesforce Garden. Ein Park über der Stadt.
Wir fahren in einer Gondel inklusive Gondoliere hinauf. Und ich muss zugeben. Salesforce weiß, wie man Parks baut. Überall sind Amis und machen Mittagspause oder liegen auf den Wiesen und im Schatten der Bäume.

Am rechten Rand sind Wasserfontänen angebracht, die immer dann losgehen, wenn ein Bus unter dem Park durchfährt. Je länger der Bus, desto mehr Fontänen gehen an.
Wir sind beinahe am Ende des Parks, als wir sie sehen: Die schönste Frau San Franciscos, wahrscheinlich sogar Amerikas.
Ohne zu verstehen, was passiert, habe ich Augenkontakt mit ihr. Sie ist vielleicht 24, hat gebräunte Haut und braune Haare und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass sie perfekt ist. Sie trägt eine kurze abgerissene Hotpant, ein braun grünes Top und braune Lederstiefel, die ihr nicht ganz bis zu den Knien reichen. Alles an ihr passt zusammen. Ich bin verliebt.

Eine Sekunde verstreicht, noch eine. Noch immer treffen sich unsere Augen (Ihre sind braun). Und ich kann nicht mehr standhalten. Ich meine es ernst: Es war unmöglich, dem standzuhalten. Ich bin Alemannia Aachen und sie ist Bayern München.

Im Vergleich zu ihr bin ich Kreisliga und das sage ich nicht, weil ich kein Selbstvertrauen habe. Es ist eine Lobeshymne auf sie.

Und wir werden sie nie wieder sehen, aber sie hat sich ihren Platz in diesem Kapitel mehr als verdient. Ich frage mich bis heute, warum sie mich angeschaut hat (ein wenig stolz deshalb bin ich durchaus). Zitat Daniel: Sie war schon eine Augenweide.

Wir verlassen diesen Park, nur um wenig später auf den nächsten hochgelegenen Garten zu treffen (Namen leider vergessen).

Wir sind uns einig, dass so ein Park ein schlagkräftiges Argument für einen Arbeitnehmer sein kann, bei der Firma zu unterschreiben, die diesen Park zur Verfügung stellt.

Auf unserem weiteren Weg kommen wir an der City Hall vorbei. Wieder können wir eine Sehenswürdigkeit von der Liste streichen. Es ist durchaus ein schönes Gebäude, mit Säulen bestückt und ganz in weiß gehalten. Und trotzdem kann man es kaum mit den alten Gebäuden Deutschlands kaum vergleichen.

Wir schießen, ganz in Fotografenmanier, ein paar Fotos, ehe wir uns in Richtung eines deutlich attraktiveren Ziels wenden: Doppeldecker Burger, oder immerhin so ähnlich heißt der Schuppen, den wir dazu auserkoren haben, und mit Kohlenhydraten und folglich Energie zu versorgen.

Und man kann sagen: Das ist wirklich amerikanisch. Neben einem Hotel-Inn gelegen ist der Laden ein kleines, rundliches Häuschen mit spitzem Dach, in das maximal drei Gäste passen. Und die Verkäuferin macht der berühmten amerikanischen Nettheit alle Ehre: Sie ist garstig.

Wir lassen uns nicht verunsichern, bestellen und setzen uns vor den Laden, an eine Art Parkbank mit vorgeschraubten Tisch. Mit einer Miene, die ich in meiner Gutherzigkeit nur als genervt beschreibe, bringt die Frau unser Essen.

Die Burger haben nichts mit den Launen der Dame zu tun, denn sie sind im Gegensatz zu eben jener hervorragend. Nicht so der Blick, der sich uns bietet. Wir sehen den Parkplatz des Inns, eine der typischen geraden und betonierten Straßen San Franciscos und ein paar kümmerliche Bäume, die eben diese Straße säumen.

Mir fällt ein Mann auf, der alle paar Minuten aus seinem typisch amerikanischen, fetten silbernen SUV steigt (ihr wisst ja wie man sagt: je größer das Auto desto kleiner der pi…) und an uns vorbei in den Laden geht. Bestimmt viermal tut er das, ehe er mit seinem Essen hinauskommt. Er scheint gestresst, wir sind alles außer gestresst. Aber wir schaffen es nicht, ihn mit unserer Ruhe anzustecken.

Ihr erinnert euch an die Schokolade, die wir früher am Tag gekauft haben; sie ist mittlerweile beinahe komplett geschmolzen. Was tun?
Wir entscheiden uns, einen Supermarkt auf dem Weg zu den Painted Ladies aufzusuchen und die Schokolade in eine der Kühltruhen zu legen. Während wir also die Toiletten nutzen (Jeder Supermarkt hier hat welche), erholt sich unsere Schokolade von den Strapazen der Sonne. Als wir gehen, ist sie wieder ein ganzes Stück.

Wir kommen bei den Painted Ladies an. Es handelt sich um fünf nebeneinander stehenden, ihr hättet es niemals erraten, in verschiedenen Farben gestrichene Häuser.
Wir kommen von unten und sind vom ersten Blick enttäuscht. Ich stelle fest, dass die Fachwerkhäuser jeder durchschnittlichen Großstadt mehr hermachen, Daniel stimmt mir zu. Aber wir geben den Ladies eine zweite Chance und begeben uns in den höher gelegenen Park. Es ist das Gesamtbild, das überzeugt.
Die Ladies liegen malerisch vor der Skyline der Stadt, die im Gesamten unterhalb des Parks liegt. Von hier betrachtet kommen die verschiedenen Farben zur Geltung, nicht weil sie sich aufspielen, sondern weil sie als Kontrast ins Bild passen, weil sie den Blick lockern und unaufdringlich ins Auge stechen.

Wir verweilen nicht lange, denn wir haben uns geschworen, den Sonnenuntergang an der Golden Gate Bridge anzuschauen.

Eine spontane Eingebung verweist uns auf E-Scooter, die überall in der Stadt in großer Zahl herumlungern.

Wieder mal gedacht gemacht, düsen wir nur wenig später durch die Straßen, treffen auf den Golden Gate Park und durchqueren ihn. Es ist vielleicht 17:30 und wow, ist der Park am Leben. Ein Areal ist voller Volleyballnetze, überall spielen die Menschen. Unzählige Läufer und Spaziergänger besiedeln die vielen verschiedenen großen und kleinen Wege und auch unsere Inlinerfahrenden Freunde sind, wenn auch in kleinerer Zahl und ohne Leuchtstreifen, wieder am Start. Der Park strahlt Leben aus und wir sind mittendrin, überholen Menschen und werden wiederum von Fahrrädern überholt. Betrachten die verschiedenen Statuen, die sich auf der Hauptstraße (es ist tatsächlich ursprünglich eine Straße, die aber für Autos gesperrt ist) befinden, und verpassen beinahe unsere Ausfahrt von ihr.

Wir sind noch nicht da, entscheiden uns aber, dass es genug E-Scooter für heute ist. Und als wir den Preis sehen, entscheiden wir, dass es genug E-Scooter für ganz Amerika ist.

31 Dollar. Wie die Piraten.

Wir denken an den Waymo, der für mehr Strecke nur die Hälfte gekostet hat und sind uns einig, dass wir nur noch auf dieses Gefährt zugreifen werden.

Durch Pfade versuchen wir, unseren gestrigen Spot wiederzufinden, aber wir scheitern. Kein Problem, denn ungefähr jeder Spot, der die Golden Gate Bridge und den endlosen Horizont des Meeres einfängt, ist atemberaubend.

Heute sind wir an jenen Stränden unterwegs, die wir gestern noch von oben gesehen haben.

Wir finden einen Stein, der wie dazu gemacht ist, der Sonne bei ihrem allabendlichen Verschwinden zuzuschauen.

Und dann sitzen wir dort und beobachten den Fall der Sonne. Obwohl Fall das falsche Wort ist. Es wirkt eher wie das majestätische Zurückziehen eines Herrschers, der ein paar Stunden Ruhe von seiner Welt braucht. Und was für ein Herrscher das ist!!

Die Pracht, die sich uns bietet, ist, wie so oft, eigentlich unbeschreiblich. Das Meer wird in den gelblichen und orangefarbenen Farben des reinen Glücks gefärbt, der Horizont passt sich diesem perfekten Farbenspiel an und über uns ziehen Zugvögel in ihrer typischen V-Formation gen Süden. Oder gen Norden. Manche so und manche so. Wir erkennen kein Muster und geben auch schnell auf, nach einem zu suchen. Nein, das wäre jetzt der falsche Ansatz.

Wir sind hier, um zu staunen. Und das tun wir. Je weiter die Sonne verschwindet, desto dunkler wird das Orange, das den Himmel färbt. Es ist, wie gesagt, unbeschreiblich.

Und während ich noch denke, dass es keine volkommenere Schönheit auf der Erde geben kann (natürlich neben der Frau von vorhin), gehen die Lichter der Golden Gate Bridge an und bestrahlen das Wahrzeichen in gelb-orangenen Tönen.

Ich glaube, es ist dieser Moment, diese unglaubliche Kombination zwischen der vollkommenen Schönheit der Natur und der höchsten Stufe menschgemachter Schönheit, die unsere Liebe zu dieser Stadt vollendet.

In diesem Moment sind wir uns sicher: Man muss eigentlich auswandern. Denn wie kann man in einem anderen Teil der Welt wohnen, wenn es hier diese Vollkommenheit an so vielen Tagen des Jahres gibt?

Wir wandern durch den Sand auf die Brücke zu, sie scheint uns magisch anzuziehen. Sie strahlt engelsgleich, ihre Stützen sind in weiße Wolken gehüllt. Wir können das gegenüberliegende Ufer nicht sehen. Es ist ein Stück weit dieses Unbekannte, das die Anziehungskraft der Brücke verstärkt.

Wir wandern auf sie zu, ich verspüre den Drang zu rennen und tue es. Was für ein Gefühl das ist! Ich renne über die Strände San Franciscos und fühle mich wie eins dieser Pferdemädchen aus den Filmen, wenn sie mit ihrem Pferd dem Sonnenuntergang entgegenreiten. Ich kann sie jetzt verstehen, kann verstehen, warum sie jauchzen und schreien. So viel Glück muss hinaus in die Welt.

Irgendwann, nachdem wir mehrere Male von der Brücke weggegangen sind, nur um wieder auf sie zu zulaufen, ziehen wir weiter.

Wir klettern die Böschung hinauf und von jedem Winkel ist der Anblick, ihr ahnt es, majestätisch.

Wir wandern, suchen nach mehr Winkeln und blicken und laufen einfach durch die Nacht, immer darauf bedacht, die Brücke nicht zu verlieren.

Die Skyline der Stadt strahlt silbern und wenn man sich von ihr wegdreht, erscheint die Brücke in goldenem Glanz. Zu welcher Schönheit wir Menschen in der Lage sind!


Donnerstag, 28.08. Warriors Baby!!

Frühstück und so wie gehabt. Bis 10:30 müssen wir das Auto holen. Natürlich kommen wir zu spät, wir müssen uns selbst ja gerecht werden.

Der ursprüngliche Plan war es, an diesem Tag mittags aus San Francisco aufzubrechen, um ungefähr 3,5h später beim Yosemite Creek Campground anzukommen. Schon als wir zum Auto laufen, ist uns klar, dass das nichts wird.

Wir haben bereits ausgecheckt, auch wenn unsere Wäsche noch im Hostel hängt. In Seelenruhe nutzen wir, nachdem das Auto vor dem Hostel steht (Wir haben diesmal ein Parkticket gekauft), nochmal die Duschen und kümmern uns dann um eine finale Planung des Tages. Wir wollen zum Chase Center (hauptsächlich ich) und ins Silicon Valley zu Apple (hauptsächlich Daniel) und dann so loskommen, dass wir optimalerweise noch im Hellen unser Zelt aufbauen können. Was für eine wunderschöne Theorie.

Wir beginnen sie, indem wir unsere Wäsche ins Auto verfrachten und in Richtung Chase Center fahren. Irgendwie ist es schon 13:00, als wir ankommen und man weiß nicht so genau, wie das passieren konnte.

Aber egal, wir sind am motherfucking Chase Center!!! Wie geil. Leider gibt es keine Möglichkeit, in die Arena zu gelangen, aber schon die Anlage an sich ist cool. Finde ich. Und natürlich gehen wir in den Fanshop.

Ich sehe einige coole Hoodies und Jacken, aber meine Figur ist anscheinend zu sportlich für einen durchschnittlichen Warriors Fan. Denn selbst L hängt an mir herab wie ein Kleid, das der Schneider an seinem ersten Ausbildungstag verunstaltet hat. Und kleinere Größen gibt es nicht. Naja, die Beobachtungen von den Stränden, die wir so besucht haben, werden wohl bestätigt. Die Menschen sind entweder Arnold Schwarzenegger oder DJ Khaled.

Irgendwann werde ich doch fündig. Eine Kappe und ein T-Shirt werden erworben und natürlich wird ein Korb auf einen der unzähligen Körbe, die im Fanshop hängen, geworfen. Beim ersten Versuch.

Wir finden eine herrenlose Jacke, die nicht zum Inventar gehört. Im Sinne des Kommunismus und aus Protest gegenüber der kapitalistischen Marktwirtschaft (wer mich kennt, kennt meinen Standpunkt (ja Papa, Leviathan und so)), nehmen wir sie mit. Außerdem ist das Parkticket in ihr schon vier Stunden abgelaufen, was darauf schließen lässt, dass der (Ex-) Besitzer weit weg ist. Wer von uns sie schließlich bekommt, ist noch ungeklärt.

Wir beten still, dass wir kein Ticket bekommen haben (Wir haben natürlich keins bezahlt) und werden erhört.

Auf geht's zum Silicon Valley. Keiner hat mir erzählt, dass der Weg dahin voll mit Stau ist und eineinhalb Stunden geht. Zugegeben, Google Maps hat es eigentlich schon erzählt. Aber aus mir unerklärlichen Gründen ist diese Information nicht bei meiner Blase angekommen.
Und so sitze ich am Steuer und denke über Atemtechniken und andere Möglichkeiten nach, das Unausweichliche hinaus zu zögern, während die Autos vor mir über den Freeway schleichen.

Und während ich so da sitze, Daniel neben mir arbeitet und meine Stimmung aufgrund von Hunger, drückender Blase und der Erkenntnis, dass wir spät beim Campground ankommen werden, immer schlechter wird, versuche ich zu verstehen, wie es möglich ist, dass auf einem fünfspurigen Freeway Stau herrscht.

Naja, eigentlich ist er sechsspurig, aber die linke Spur ist die höllische Ausgeburt des Kapitalismus: Es handelt sich um eine Express Lane, eine Spur, die man nur nutzen darf, wenn man bezahlt. Wie unfair und unsinnig das ist, brauche ich, denke ich nicht zu erklären.

Nur soviel: Eine zusätzliche Spur hätte den Stau mit Sicherheit entlastet. Und damit auch meine Blase.

Ich muss die Fahrt abbrechen, schlage mich in Büsche nahe einer Eisenbahnstrecke und komme deutlich besser gelaunt zum Auto zurück. Was so ein paar Augenblicke doch mit der eigenen Laune machen können.

Wir gelangen zum Apple-Gelände, gönnen uns ein wenig Brioche mit Nutella und gehen dann in den äußerst modernen Laden hinein. Ich gebe gerne zu, dass dieses Daniels Reich ist. Er ist fasziniert, ich gehe erstmal auf eine richtige Toilette. Als ich wieder komme, finde ich ihn in einer Unterhaltung mit einer jungen Dame wieder. Eine Welle von Stolz überflutet mich und in meiner Pflicht als Freund schieße ich einige Beweisfotos.
Umsonst, denn es stellt sich heraus, dass es eine Angestellte ist und Daniel die VR Brille ausprobieren möchte.
Ich geselle mich zu den beiden und während Daniel die Möglichkeiten der Brille ergründet, unterhalte ich mich mit der Frau. Sie ist 20 und mir springt ihre Gucci Halskette ins Auge. Natürlich gönne ich. Ich frage, ob ihr der Job Spaß macht, denn ihre Körperhaltung vermittelt eher das Gegenteil, auch wenn sie seit Beginn unserer Unterhaltung des Öfteren gelächelt hat. Ob aus Höflichkeit oder weil ich lustig bin, wage ich nicht zu beurteilen.

Daniel möchte Spiele ausprobieren; kein Problem.

Wir beobachten das, was er in 3D durch die Brille sieht, auf einem Tablett. Irgendwann ist die Zeit um. Die Verkäuferin heißt Mia. Sie ist cool.

Daniel zieht sich noch einen Kaffee, dann brechen wir auf. Es ist 18:30 Uhr.

Wir tanken das Auto. Dann halten wir bei einem Walmart. Wieder einmal kaufen wir mit herausragender Qualität ein, probieren uns dabei an immer neuen Getränken aus und switchen von Brioche auf Bagels. Das Problem? Es ist mittlerweile schon lange dunkel und wir haben noch drei Stunden Fahrt vor uns.

Jetzt gibt es ja im Allgemeinen zwei Möglichkeiten, mit Problemen umzugehen.

  1. Man löst sie. Das ist uns viel zu Standard. Zu langweilig. Oder so.

  2. Man ignoriert sie. Das ist schon eher nach unserem Geschmack.

Wir legen also noch einen Zwischenstopp bei In N Out ein, diesmal aber ganz nach amerikanischer Art im Drive-In. Es gibt keine Gegensprechanlage, keine Fenster, an denen man bezahlen muss. Nein, es wird viel persönlicher geregelt.

Eine junge Dame, vielleicht 25, kommt zu uns ans Auto und nimmt direkt unsere Bestellung auf. Ich mag diese Art des Drive-In.

Und genauso bekommen wir auch unser Essen, nur dass die Frau, die es uns bringt, einen schlechten Tag hat. Und dass sie meine Cola in unser Auto schüttet.

Sowas kann mich natürlich nicht aus der Ruhe bringen, genauso wenig wie der Fakt, dass sie sich nicht entschuldigt. Ich erinnere mich an ein Zitat, dass ich vor einiger Zeit gesehen habe:

“A waitress was rude? Maybe she`s going through something.”

Aufgrund der Tatsache, dass ich auf Toilette muss, stellt sich die ganze Idee des Drive-ins im Nachhinein als Fehlschlag heraus: Wir parken und ich gehe in den Laden, um zu tun, was getan werden muss.

Und dann geht es wirklich endlich los. Richtung Yosemite Creek Campground. Es ist 21:30 und wir kennen die Schranken, die nachts oft Straßen versperren. Uns bleibt nichts, außer zu hoffen, dass es dort keine gibt.

Wir kommen an. Es ist nach Mitternacht. Also laut Google Maps erreichen wir den Campground. Nur, dass da kein Campground ist, sondern nichts außer Wald und der Highway, auf dem wir fahren.
Wir versuchen herauszufinden, wo der Campground sein kann, scheitern aber auf Google Maps. Kaum verwunderlich, im gesamten Nationalpark gibt es keinerlei Empfang. Aber wir sind uns relativ sicher, dass wir bereits vorbei sind und drehen deshalb um. Durch Zufall kommen wir auf einen Parkplatz, auf dem eine Karte steht. In bester Pfadfinder Manier nutzen wir die Karte, um uns zu berechnen, an welcher Stelle ungefähr die Straße zum Campground abgeht. Es ist halb eins.

Als wir in die Nähe dieses von uns bestimmten Punktes kommen, drosseln wir unsere Geschwindigkeit. Und tatsächlich, unsere Fähigkeiten haben uns nicht enttäuscht.

Wir biegen ab auf eine kleine Straße. Betoniert. Denken wir zumindest.

Aber wie das mit dem Denken so oft so ist, kann man sich eben auch irren. Und der Weg, der 5 Kilometer in die Tiefen des Waldes führt, straft unsere Gedanken lügen. Er verdient nicht einmal die Bezeichnung Schotterpiste angesichts der ungleichmäßigen Verteilung des Belags.

Um 1:00 sind wir da, natürlich ist kein Host mehr Anwesend. Wir tragen uns in einer ausliegenden Liste ein, die uns verrät, dass neben unserem nur vier andere Campsites belegt sind. Keines davon liegt in unserer Nähe, sodass wir unser Zelt in aller Ruhe aufbauen können. Wir verstauen unsere Lebensmittel in der dafür vorgesehenen Bear-Protect Box, obwohl wir natürlich darauf hoffen, einen der Schwarzbären zu sehen. Die Powerbanks halten und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, passen auch noch beide gute Matratzen in das Zelt. Himmlisch.

Dabei liefern die Scheinwerfer unseres Sonatas auf dem Niveau von 2012 Lebron James ab und sind somit der glasklare MVP des Abends.


Freitag, 29.08. Marathon-Warum eigentlich nicht?

Nach einem ausgewogenen Frühstück, bestehend aus Cornflakes und Bagels, ist vor dem Abbauen des Zeltes. Und nach dem Abbauen des Zeltes ist vor der Wanderung zu den Yosemite Falls. Der Plan ist ganz klar, heute tatsächlich beim Hellen im nächsten Campground anzukommen.

Soweit so gut. Und genauso handeln wir auch, jeder von uns packt einen halben Liter Wasser in die Hosentasche und schnell ist der Start des Trails gefunden, der zu den Falls führt. 6,4 Meilen, was kann uns das schon ausmachen?
Nach einer Meile werden wir überholt. Die Dame, die an uns vorbeizieht, hat nicht nur ein beeindruckendes Tempo drauf, sondern auch eine vollständige Wanderausrüstung mit Stöcken, Rucksack und Wanderschuhen angelegt.

Wir schauen an uns herab. Ich trage meine Nike Turnschuhe, die mittlerweile gut mitgenommen sind, eine Jordan Shorts und ein T-Shirt. Dazu habe ich meine Adidas-Sweatjacke dabei, die ich aber mittlerweile trage, es ist zu warm. Auch Daniel trägt seine Jacke, er ist außerdem ausgerüstet mit einer Jeans und einem T-Shirt und ebenso wie ich mit einer halben Liter Flasche Wasser bewaffnet.

Die leichte Skepsis wird schnell abgetan und wir wundern uns, warum die Frau so schnell ist, insbesondere weil wir uns selber für nicht gerade langsam halten.

Was uns hingegen aufhält, sind die Jacken, also entschließen wir uns kurzerhand, sie am Rand des Weges zu verstecken. Immerhin müssen wir denselben Weg ja zwingend zurück, so die Idee.

Und während wir so wandern, merken wir zwei Sachen. Zum einen haben wir die Distanz von 6,4 Meilen gewaltig unterschätzt und zum anderen haben wir den Trail verloren.

Wieder einmal schlägt unser Talent, aus vermeintlich schlechten Sachen etwas Gutes zu machen, zu. Wir wandern über Felsen und Stock und Stein, der Wald ist ziemlich cool, und stoßen irgendwann wieder auf den Trail. Und siehe da, wer ist auf einmal hinter uns? Die Wanderin. In unserer Unfähigkeit, dem Trail zu folgen (er war an einigen Stellen echt kaum zu erkennen) haben wir eine so krasse Abkürzung gefunden, dass sie uns vor die top ausgerüstete Usain Bolt des Wandersports katapultiert. In Gentleman Manier lassen wir sie an uns vorbei, weil es sowieso unvermeidlich gewesen wäre.

Nach ungefähr fünf Meilen, unser Wasser ist schon leer, treffen wir auf ein altes Ehepaar. Wir unterhalten uns mit ihnen und erfahren, dass sie aufgegeben haben. Auch sie haben den Weg unterschätzt. Es ist Viertel vor drei und wir spüren in der Magengegend, dass wir den nächsten Nationalpark wohl kaum im Hellen erreichen werden. Probleme von unseren Zukunft-Ichs.

Unsere Gegenwart-Ichs wollen erst einmal den Wasserfall finden. Und erreichen auf dem Weg dahin den Yosemite Valley Lookout. Zeitaufwand für die Wanderung? 2,5 Stunden.

Aber der Blick. Was für ein Blick.

Wir überblicken das Yosemite Valley, ein großes Tal, in das sich der Wasserfall ergießt. Der Creek verläuft in Schlangenlinien zwischen Bäumen und Häusern, aber das eigentlich krasse ist, wie weit unten das alles ist. Es gibt natürlich keine Absperrungen oder Ähnliches, wir setzen uns an die Kante und lassen die Beine baumeln. Unter uns geht es mehrere Hundert Meter in die Tiefe.

Ich entschließe mich, am Rande des Abgrunds einen Handstand zu machen. Natürlich dokumentiert. Warum? Es gibt keinen wirklichen Grund, Leben am Limit und so. Die Bilder sind spektakulär.

Der Wasserfall ist nicht weit entfernt. Er liegt hinter einer Felserhebung und ist nur durch ein wenig Klettern zu erreichen. Spektakulär ist noch eine Untertreibung für den Anblick, der sich uns bietet. Ich quatsche auf dem Weg zu den Falls eine junge Frau an: Sie hat fest vor, schwimmen zu gehen.

Das was wir sehen, lässt sich ungefähr wie folgt beschreiben:
Von einer etwa fünf Meter hohen Klippe fällt Wasser in einen ersten Pool, in dem ein paar Menschen schwimmen. Von diesem Pool führt ein zweiter, etwas kleinerer Wasserfall in einen zweiten Pool, in dem niemand ist. Von dort führen Stromschnellen und ein schneller, flacher Bach zu dem eigentlich, etwa zehn Meter entfernten Wasserfall. Dort springt das Wasser in die Tiefe, mehrere hundert Meter fällt es, ehe es in dem Tal angelangt. Wie gesagt: Spektakulär.

Wir wenden uns dem zweiten Pool zu und sehen sofort das Potenzial, den Wasserfall hinab zu springen. Doch wir sind weder Lebensmüde noch dumm, also testet Daniel zuerst die Tiefe des Pools. Für den fünf Meter Sprung sind wir noch nicht überzeugt, also tasten wir uns an ihn heran: Erst von einem Vorsprung, vielleicht zwei Meter, dann gehen wir ein Level höher und springen vielleicht dreieinhalb Meter tief. Die Frau, mit der ich vorhin gequatscht habe, schließt sich uns an; auch sie springt in den Pool.
Das Wasser ist eiskalt, aber die Sonne so warm, dass einem Augenblicke, nachdem man das Wasser verlassen hat, wieder warm ist. Ich filme Daniel bei einem majestätischen Köpper, die Kulisse gibt wieder einmal Paradies Vibes. Und die Anstrengungen der Wanderung sind vergessen.

Wir nehmen die Königsdisziplin in Angriff: Den Sprung mit den Fluten, von der Spitze des Wasserfalls, der den Pool versorgt. Natürlich filmen wir. Und ich sage mal so: So synchron wie wir sind, können wir uns für die nächsten Olympischen Spiele mit Sicherheit anmelden.

Es ist traumhaft und so bleiben wir. Natürlich viel zu lange, wenn man bedenkt, dass wir noch vier Stunden fahren müssen.

Gegen 16:00 füllen wir unsere Wasserflaschen auf, auch wenn am Campground ausdrücklich steht, dass das Wasser nur abgekocht konsumiert werden soll. Aber da wir die Wahl zwischen dem Tod durch verdursten oder eventuell vielleicht unverträglichem Wasser haben, entscheiden wir uns für zweiteres. Daniel wird später das Wasser an die Natur zurückgeben, um sachlich zu bleiben.

Dann nehmen wir, gut gelaunt, den Rückweg in Angriff. Wir sind euphorisiert von den Dingen, die wir gesehen haben, und viben zur Musik. Alles ist gut.

Außer dass die Füße beginnen weh zu tun. Und wir uns verlaufen. Wir drehen um und stoßen wieder auf den Weg. Unser Gefühl sagt uns, dass sich die Jacken hier in der Nähe befinden müssen. Aber wir finden sie nicht und die Schmerzen in unseren Füßen verbieten uns, noch weiter zurückzulaufen. Also hoffen wir, dass sich die Klamotten noch vor uns befinden.
Daniel hatte ein Bild von ihnen gemacht, aber sein Handy ist leer. Und auch mein Akku neigt sich dem Ende zu. Jeder Schritt tut mittlerweile weh, wir passieren das zwei Meilen Schild und gehen unbeirrt auf das Camp zu. Mit jedem Schritt verlässt uns die Hoffnung, unsere Kleider noch zu finden. Wir arbeiten den Plan aus, die Handys am Auto zu laden, und dann mittels des Fotos den Standort zu bestimmen. Außerdem müssen wir dringend etwas trinken. 

Wir schaffen es zum Auto, es ist fast sieben und uns wird klar, dass uns die Zeit wegläuft: Im Dunkeln könnte es schwer werden.
“Mach das Auto auf.”, sage ich zu Daniel, in unbändiger Vorfreude auf die Cola Zero, die dort auf mich wartet. 

“Jakob”, antwortet er. “Der Schlüssel ist in meiner Jacke.”
Ein Schlag in meine Fresse hätte mich nicht mehr erschüttern können als diese Aussage.

“Immerhin hast du jetzt einen guten Tagebucheintrag”, sagt Daniel und fragt ein paar Amis nach einer Powerbank. Er lädt sein Handy auf zwanzig Prozent. Doch das Foto hält nicht, was es verspricht. Da er es mit einer speziellen App aufgenommen hat und nicht mit der normalen Apple Kamera, beinhaltet es auch keinen Standort. Aber eine Uhrzeit. Und die sagt uns, dass die Klamotten und, viel wichtiger, der Schlüssel eine Stunde vom Camp entfernt sind. Und es beginnt dunkel zu werden.

Uns bleibt keine Wahl, als zurückzulaufen. Wir malen uns gar nicht erst aus, was passiert, wenn der Schlüssel weg ist. Aber ein Blick auf mein Handy zeigt, dass wir schon 30 Kilometer gelaufen sind.

Dementsprechend tut alles weh, als wir die Suche beginnen.
Wir rennen aus Zeitgründen. Und warum sollte man auch nicht ab und zu ein bisschen Trailrunning betreiben?

Nach ein paar Minuten splitten wir uns auf, ich renne vor, über unwegsame Trails, Stock und Stein steil bergauf, nur um wenig später ebenso steil bergab zu rennen. Bei jedem Schritt habe ich Angst, umzuknicken und sehe mich schon verletzt im Nirgendwo liegen.

Und mit jedem Schritt brennen die Oberschenkel mehr. Ein unaufmerksamer Moment, ich stoße mit dem linken Fuß gegen einen tückischen Stein und komme ins Straucheln. Gerade so schaffe ich es, mich aufzufangen. Ich teste leicht, ob mein Knöchel in Mitleidenschaft gezogen ist. Zum Glück nicht. Dafür blutet mein Zeh.

Ich habe keine Zeit, mich darum zu kümmern und hetze weiter. Ich lege die 3,5 Stunden in 30 Minuten zurück und tatsächlich finde ich die Jacken. Und den Schlüssel.

Mit dem Kommen der Erleichterung verlässt mich gleichzeitig alle Kraft. Mein Handy ist leer und es beginnt zu dämmern. Den Trail sehe ich eher schlecht als Recht.

Ich weiß, ich habe vorhin schon geschrieben, dass jeder Schritt weh tut. Aber jetzt tut jeder Schritt WEH. Ich bin ausgedurstet und habe 36 Kilometer in den Beinen. Und ich sehe den verdammten Trail nicht.

Ich bin der Meinung, irgendwann auf Daniel zu stoßen, dessen Handy ja immerhin 20 Prozent hat. Aber es wird sich später herausstellen, dass wir uns auf dem Weg verpasst haben und auch er an die Stelle, an der unsere Jacken lagen, gelangt ist.

Ich verlaufe mich fünf Mal. Den Trail wiederzufinden, ist beinahe eine Sache der Unmöglichkeit, denn es ist inzwischen komplett dunkel. Doch irgendwie schaffe ich es. Und habe ich schon gesagt, dass jeder Schritt weh tut?

Irgendwann komme ich beim Auto an, Daniel ist nirgends zu sehen. Ich trinke etwas und genehmige mir zwei Minuten sitzen, ehe ich mich aufmache, ihn zu suchen. Wir finden uns und fallen ins Auto. Unendliche Erschöpfung durchzieht unseren gesamten Körper. 42 Kilometer mit einer halben Flasche Wasser, das ist das Fazit der Wanderung, die ein so herausstechendes Highlight hatte. 42 Kilometer über Trails, durch Büsche, Berge hinauf. 42 Kilometer voller Klettern. Wir schwören uns, so eine Wanderung nicht nochmal zu machen.

Wir essen etwas und fahren los. Unser Ziel ist vier Stunden entfernt. Es ist 22:00 Uhr.

Ich bin nicht in der Lage zu fahren. Daniel sagt nach einer halben Stunde, er braucht einen kurzen Nap. Wir fahren an die Seite und schließen die Augen.

Zwei Stunden später, nach Mitternacht, wachen wir auf. Wir lassen uns nicht beirren und kommen um 3:30 beim Princess Campground an. Um 4:00 Uhr steht das Zelt.

Ich bin lange nicht mehr so schnell eingeschlafen.


Samstag, 30.08. Engel schlafen nicht

Geübte, effiziente Handgriffe bauen das Zelt ab. Jede unserer Bewegungen ist von Nutzen. Und wir sind schnell. Im Handumdrehen ist unser Lager abgebaut und wir brechen auf. Es ist 12:30 Uhr.

Wir sind uns für diese Tage in zwei Dingen unerschütterlich sicher: Zum einen wollen wir die größten Bäume der Welt, die im Sequoia National Forest stehen, sehen. Und zum anderen wollen wir wirklich noch im Hellen das Zelt aufbauen. Nicht zum dritten Mal in Folge mitten in der Nacht. Wir wissen, dass wir ungefähr 10 Stunden Fahrt bis zum Grand Canyon vor uns haben.

Aber zuerst die Bäume: Wir fragen den Camphost nach seinen Empfehlungen (Es ist prinzipiell immer gut, mit Einheimischen zu reden; wir jedenfalls waren von der absoluten Zuvorkommenheit aller Amerikaner, mit denen wir so zu tun hatten, jedesmal aufs neue begeistert). Er untermalt seine Ausschweifungen mit Bildern, die Lust machen. Auch wenn wir uns nicht alles merken können, schlagen wir die empfohlene Richtung ein.

Die Fahrt zu den Bäumen stellt sich als überraschend lange heraus. Nach ungefähr einer Stunde kommen wir an; wir befinden uns bei einem großen Touristenpunkt, mit unzähligen Parkplätzen, Duschen, einem Restaurant und, ihr dachtet es euch bereits, Touristen.

Nachdem wir einen Parkplatz bekommen haben (Gott war uns gnädig, direkt vor unserer Nase ist ein Auto weggefahren, sodass wir überhaupt nicht suchen mussten) gehen wir straight ins Visitor Center. Wir lassen uns immer gerne helfen.

Nach einem kleinen Schwatz mit der Ranger-Frau steht unser Plan: Mit dem kostenlosen Shuttle-Bus soll es zum größten Baum der Welt (Name: General Sherman) gehen, von dort einen kleinen Rundweg durch den Wald gelaufen werden und dann zu Fuß den 3 Meilen langen Trail zurück zum Auto.
Während wir so auf den Bus warten, bekomme ich das unschöne Gefühl eines Deja-Vus. Wieder mal werden wir nicht mal ansatzweise früh genug am Ziel ankommen.

"You're playing soccer?” Eine Frauenstimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ihre Sprecherin ist schnell lokalisiert.

“Yes”, antworte ich. Die Frage erscheint euch nicht mehr so zufällig, wenn ihr wisst, dass ich mein Hochstadt-Trikot anhatte, jenes, auf dem auch mein Name steht.

“But it's called football where I'm from.” Die Frau, die vor mir steht, schaut mich kurz verwirrt an. Sie ist Mitte Fünfzig, hat gelocktes schwarzes Haar und eine etwas gedrungene Gestalt. Neben ihr steht ihr Ehemann, etwas älter mit ergrautem Haar. Was sie beide vereint, ist ihr äußerst sympathisches Lächeln und ihr offenes Haar. Auch wenn die Frau der klare Wortführer ist.

Sie hat mich jetzt verstanden und erklärt, dass sie Brasilianerin ist. Und sie sagt von nun an football.

Wir unterhalten uns über meine Position, Daniel sagt, ich bin berühmt und über mich wird in Zeitungsartikeln geschrieben. Keine wirkliche Lüge, aber auch weit weg von der Wahrheit. Die Frau ist mir zu sympathisch, um sie zu verarschen.
Irgendwann kommen wir auf das 7:1 von Deutschland gegen Brasilien 2014 zu sprechen. Sie erzählt, wie sie durch die Straßen Rios gelaufen ist und überall weinende Menschen gesehen hat, die wirkten, als hätten sie ihre Familien verloren.

Sie hat einmal Ronaldinho getroffen und kurz nach dem besagten Halbfinale auch den Trainer der brasilianischen Nationalmannschaft, der da natürlich schon gefeuert war.

Während wir so reden, werden zwei der Busse gefüllt. Doch wir sind zu weit hinten.

Irgendwann fragt sie, was wir machen und ich sage, dass ich Psychologie studieren werde. Daniel spricht von Informatik.

Das Gespräch verschiebt sich, denn wie es der Zufall so will, sind die beiden Informatiker. Ich ziehe mich aus Unwissenheit in die Rolle des Beobachters zurück, während die drei über AI und alles mögliche andere Zeug reden. Natürlich verstehe ich höchstens einen Bruchteil.

Nach mehr als einer Stunde kommen endlich drei Busse und wir finden in dem Mittleren einen eingeengten Stehplatz. Ich schwöre mir, nicht nochmal mit diesen Bussen zu fahren.

Wir kommen an und gehen leichten Schrittes die Wege zum General Sherman. Das erste Mal, seit wir ins Landesinnere gekommen sind, befinden wir uns an einem wirklich touristischen Ort. Auch wenn wir natürlich dieselbe Spezies wie alle anderen, die sich um den Baum und auf den Trails befinden, sind, fühlen wir uns nicht so. Wie die anderen wahrscheinlich auch. Die Mammutbäume und natürlich auch der General Sherman sind beeindruckend. Und sie sind hauptsächlich zwei Sachen: Riesengroß und Bäume.
Mit riesengroß meine ich so groß, dass man sie, wenn man acht Meter entfernt steht, nicht komplett fotografieren kann. Sie sind so dick, dass es einen von ihnen gibt, durch den man mit dem Auto fahren kann. Und sie sind alt. Tausende Jahre alt.

Aber sie sind am Ende des Tages Bäume. Sie haben einen Stamm, Äste und Blätter. Halt alles überdimensional groß.
Wir wandern den Rundweg und haben mittlerweile unsere Ruhe darin gefunden, dass wir spät ankommen werden. Wir leben im Moment.

Der Rundweg ist abgeschlossen und wir wenden uns dem Trail zu. Natürlich haben wir uns schon wieder unglaublich verschätzt. Ich bin der Meinung, dass so konsequent zu machen, ist beinahe schon ein Talent. Und auf der Karte des Rangers sah der Weg wirklich nicht so weit aus. Wir werden daraus bestimmt lernen…

Wir kommen erst um 17:30 beim Auto an. Wir benutzen die Duschen und ich bewerbe mich bei allen Studentenwohnheimen, die Frankfurt so zu bieten hat.

Es ist fast 19:00 Uhr, als wir aufbrechen. Wir visieren erstmal einen Walmart an, der natürlich auf dem Weg liegt und kaufen wichtige Grundlebensmittel ein: Zum Beispiel Nachos und Salsa Sauce.

Nach dem Einkauf ist vor dem Essen, denn wie soll man es schaffen, eine halbe Stunde durch Regale voller Futter zu laufen und keinen Hunger zu bekommen?
Wir fahren zu einem einstündig entfernten In-N-Out. Der aufmerksame Leser wird mittlerweile festgestellt haben, dass diese Fastfood-Kette unser Favorit ist.

Als wir uns wieder ins Auto setzen, zeigt Google Maps unsere Ankunft um 7:12 an. Morgens.

Wir wechseln uns mit Fahren und Schlafen ab. Nürnberg wird sich nicht wiederholen. Ich werde aus meinem Schlaf geweckt, weil wir anhalten.
Wir befinden uns auf einer Tankstelle, ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es 2:30 ist. Und ein Blick auf die Tankanzeige verrät mir, dass wir nur noch für 11 Meilen Benzin haben.

Kein Problem. Eigentlich.

“Jakob hast du noch nh Karte die du ausprobieren kannst.” Daniels Worte wirken auf mich nicht gerade vielversprechend. Ich steige aus und probiere meine Karte. Abgelehnt.

Das Problem, das wir nun lösen müssen, ist folgendes: Die Zapfsäulen, die wie alle in Amerika selbstzahlend sind, akzeptieren aus uns bis heute unbekannten Gründen nur Kreditkarten. Und mit Karten meine ich KARTEN. Wir haben aber keine Kreditkarte. Nicht in physischer Form, sondern nur auf dem Handy. Bis jetzt war das nie ein Problem.
Debitkarten haben wir, aber die bringen uns nichts.

Ich gehe zum Haus. Natürlich zu.
Plötzlich sehen wir auf der anderen Seite ein Auto. Ohne zu zögern fahren wir auf die beiden Amerikaner, die dort ihren Truck betanken, zu.
Daniel erklärt unsere Lage. Und tatsächlich, der Mann erklärt sich dazu bereit, uns seine Kreditkarte zu “leihen”. Wir tanken und geben ihm das bezahlte Geld in Cash. Und wir erklären ihm, wie sehr er uns den Arsch gerettet hat. 

Er erzählt uns, dass auch sie fast liegen geblieben wären und wir sind uns einig, dass die Tankstelle genau solche Schicksale ausnutzt: Sie ist dreifach so teuer wie andere.

Engel schlafen nicht, schreibt mein Vater, als ich ihm von diesem Zwischenstopp berichte. Und er hat Recht. Nichts anderes waren die beiden Männer, die da mit ihrem Truck inklusive Wohnanhänger zur gleichen Zeit wie wir am selben Ort wie wir waren.

Nur vierzig Meilen weiter tanken wir das Auto voll. Und fahren Richtung Mather Campground. Richtung Grand Canyon!!!

Zweimal überfahre ich fast ein Reh, das aus dem Nichts in die Scheinwerfer des Autos kommt. Einmal ist ein Koyote seines Lebens überdrüssig. Gerade so schaffe ich es auszuweichen.

Um 7:15 morgens steht unser Zelt. Wir haben unsere Ankunftszeit mal wieder überboten.


Sonntag, 31.8. Aus Fehlern muss man nicht unbedingt was lernen

Wir kommen auf dem Campground an und er ist voll. Das ist kaum verwunderlich, ist es doch Wochenende. Was verwunderlich ist, ist, dass die ganzen Menschen schon wach sind. Es ist 7:00 morgens????

Wir für unseren Teil lassen uns von ihnen nicht beirren und legen uns, entgegen dem vorherrschenden Trend, erst einmal schlafen.

Nachdem wir gefrühstückt haben, checken wir ein und fragen, was der Ranger uns empfehlen würde. Er gibt uns leider nur einen Flyer und keine geheimen Tipps und wir entscheiden uns für den Grandview Point, von dem auch ein Trail in den Canyon führt.

Auf dem Weg dorthin halten wir an. Und sehen das erste Mal den Grand Canyon. Ich muss sagen, dass ich mich angesichts der schieren Größe erschlagen gefühlt habe.

Ein riesiges Feld aus tiefen Schluchten und Plateaus aus Steinen, die von grau bis rot alle Farben annehmen, erstreckt sich vor uns. Ich könnte ein Buch nur über diesen Anblick schreiben, es würde der Größe und Tiefe des Canyons nicht gerecht werden. 

Was ihn so besonders macht, ist, dass er so gleich, aber doch so unterschiedlich aussieht. Im Prinzip sieht es aus wie ein eins mächtiges Plateau, das von tiefen und vielen Wunden durchzogen ist. Überall sind Schluchten und Erhebungen, an den Hängen kämpfen Bäume und auch am Grund des Canyons gibt es vereinzelte Wäldchen, Baumgruppen und viele Büsche. An sich ist das überall gleich. Es sind die Kleinigkeiten, die in ihrer Vielzahl dafür sorgen, dass der Canyon an jeder Stelle, an die man schaut, besonders ist. Hier eine besondere Form eines Plateaus, hier eine besonders steile Wand und dort anders gefärbte Felsen. Es ist atemberaubend. “Ich könnte hier Stunden stehen.”, sage ich zu Daniel. Er nickt zustimmend.

Aber wir bleiben keine Stunden, sondern fahren weiter zu unserem eigentlichen Ziel: Den Grandview Point, an dem 1898 das erste Hotel des Grand Canyons erbaut wurde. Natürlich ist auch hier die Sicht geradezu lächerlich.

Aber wir wollen mehr; wir wollen die Natur erleben und wir wollen nach unten. An den Grund. Hätten wir zu dem Zeitpunkt gewusst, dass das beinahe 2000 Höhenmeter sind, vielleicht hätten wir andere Entscheidungen getroffen. Aber wir wussten es nicht, auch wenn es echt verdammt hoch aussah.

“Lass nen Rucksack mit bisschen Trinken und so mitnehmen.”, sagt Daniel.
“Ne man. Gar kein Bock den zu tragen, das ist save nicht so weit.”, antworte ich. Wir schauen auf eine Karte; auf ihr sieht es in der Tat nicht weit aus.

Also nimmt jeder von uns nur einen halben Liter Wasser mit.
Es ist traumhaft, wir bewegen uns an den Steilhängen des Canyons immer tiefer in ihn hinein. Bald schon treffen wir auf ein paar Asiaten, die erschöpft rumsitzen. Wir sehen darin keine Warnung und gehen weiter.

Es ist teilweise steil, teilweise unweglich und immer anstrengend für die Knie. Wir wandern und wandern und sind guter Dinge. Jedes Mal, wenn ich den Blick vom “Weg” vor mir abwende und über den Canyon schweifen lasse, bin ich überwältigt. Ich fühle mich wie Old Shatterhand und denke über die unendlichen Entbehrlichen eines Cowboys nach. Cool fühle ich mich trotzdem.

Wir kommen am Ende des Grandview Trails an. Wir befinden uns etwa in der Mitte des Canyons, es liegt ebenso viel von ihm über wie unter uns. Wir haben kein Trinken mehr und die Knie schmerzen bereits. Aber wir sind nicht am Grund und ganz offensichtlich zu ausgedürstet, um nachzudenken.

Also schlagen wir den Horseshoe Mesa ein und kommen schon bald bei einer unfertigen Hütte aus lose übereinander gestapelten Steinen an. Von dort geht es steil nach unten. Es ist ein Campground ganz unten, am Grund des Canyons, ausgeschildert. Doch je weiter nach unten wir kommen, desto sicherer werde ich mir, dass hier nicht oft Menschen hinkommen. Der Durst ist jetzt schon überwältigend.

Das Wetter ist hervorragend. Keine Wolke am Himmel und 30 Grad im Schatten. Schatten gibt es auf unserem Weg aber keinen. Nicht hilfreich, wenn man durstig ist.

Doch wir wollen weiter, haben die kleine Hoffnung, dass es auf dem Campground etwas zu trinken gibt. Wir klettern durch Schluchten, wagen uns Steilwände hinab und kommen vom Trail ab. Dann finden wir ihn wieder. Wir sind jetzt am Grund und nutzen ein ausgetrocknetes Flussbett als Weg. 

Meine Knie protestieren, sie müssen seit Stunden bei jedem Schritt abwärts mein Gewicht abfedern, doch der Campground ist nicht mehr weit.

Dann, endlich, sind wir da. Es ist fast 18:00, wir sind seit drei Stunden unterwegs in knallender Hitze und haben seit 1,5 Stunden kein Wasser mehr. Wir setzen alles auf diesen einen Campground.

Ein Fehler, den man auch im Casino nicht machen darf: Niemals alles auf eine Karte setzen.

Der Campground ist verlassen. Es handelt sich um nicht mehr als drei etwas gerade Flächen. Außer diesen gibt es kein einziges Anzeichen dafür, dass es sich um einen Campground handelt.
Plötzlich meldet sich auch noch der Magen. World Class.

Wir machen erstmal eine Subway Surfer Pause und entlasten unsere schmerzenden Beine. Ihr könnt euch vorstellen, wie es in meinem Kopf aussieht: Ich weiß, dass wir den gesamten Weg wieder hoch müssen. Ohne trinken, fast 13 Kilometer auf kleinen Pfaden und Geröll, an den Steilhängen entlang durch die Hitze. Wir haben es tatsächlich geschafft, aus dem Marathon, den wir noch vorgestern gelaufen sind, nichts zu lernen.

Wir machen uns an den Aufstieg. Mit einer Strategie: Reden.

Wir reden über alles und nichts, über Gott und die Welt, über Politik und Wirtschaft und es funktioniert: Wir sind abgelenkt von unserem Durst und den Schmerzen in unseren Beinen.

Doch irgendwann hilft es nichts mehr; die Schmerzen überwiegen. Es wird langsam dunkel. Wir sind bei der Hälfte. In uns ist zu wenig Flüssigkeit, um spucken zu können.
Und es wird brutal. Es ist unendlich steil, die Schwerkraft arbeitet gegen uns. Jede einzelne Bewegung, selbst hinsetzen, tut weh.

Ich spüre meinen Mund nicht mehr. Daniel wird schwindelig.

Aber wir müssen weiter. Wir müssen immer öfter Pause machen. Es ist brutal. Zu viel.
Doch wir schaffen es. Irgendwie, durch puren Willen, kommen wir zum Auto. Ich sage euch: Ich habe lange keinen so leckeren Eistee getrunken wie diesen Arizona.

Wir machen Pause, trinken und sind stolz auf diese körperliche Leistung, die in dieser Form wohl nicht viele schaffen würden.

Dann gehen wir einkaufen. Und wen treffen wir da? Zwei deutsche Rentnerinnen.
Man kann den Deutschen eben nicht entfliehen. Ich sage es immer wieder.
“Einen schönen guten Abend.”, sagt Daniel. Wir halten einen kleinen Plausch. Denn warum auch nicht? Sie befinden sich auf einer der sagenumwobenen Busreisen. Wir erzählen von unserem Trip und der überlebten Todeswanderung. Die beiden kommen aus der Nähe von Stuttgart. Gibt schlimmere Gegenden. Und sie werden noch eine Woche nach Hawaii fliegen. Nachdem wir uns von ihnen verabschieden, sind wir uns absolut einig, dass wir genauso sein wollen, wenn wir Rentner sind. Also wenn wir nicht eh in San Francisco leben.

Naja. Auf zu McDonalds. Nicht unsere erste Wahl, aber die einzige, die wir haben, denn alles andere hat bereits zu. Wir hustlen während wir essen.
Denn wir haben keine Lust, die 35 Dollar Fee zu bezahlen, die es eigentlich kostet, um in den Grand Canyon Nationalpark zu kommen.

Also fahren wir erst nachts zurück zum Camp. Kein Ranger ist mehr am Eingang.

Und ich schaffe es, noch schneller einzuschlafen, als vor zwei Tagen.


Montag, 1.9. Einfach mal ein bisschen chillen

Ich mache endlich wieder Sport!! Es ist etwas nach 11:00 und ich pushe mich nach oben. Das Frühstück war wie immer äußerst lecker und es gilt, die aufgenommenen Kalorien zu verbrennen. Es ist eine Erleichterung, auch für die Psyche, die mich nach so vielen Tagen ohne Training durchaus unter Druck setzt. Und es macht Spaß.

Genauso wie die dringend notwendige Dusche, die danach folgt. Daniel braucht natürlich mal wieder, wie immer, eine halbe Ewigkeit, also nutze ich die Zeit um, nachdem ich fertig bin, an dieser Schrift weiter zu arbeiten. 

Immerhin habe ich jetzt eine Website, auf der sowas hochgeladen werden soll. Das war unsere Beschäftigung beim Frühstück (jvd.name alle abchecken hayde).

Nach dem duschen chillen wir erstmal, und zwar genauso richtig wie es sich gehört. Ein wenig Lesen, ein wenig snacken, ein wenig in der Sonne liegen und ja nicht zu viel bewegen.
Wir regenerieren.

Gegen 17:00 empfinden wir auf einmal das Verlangen, doch noch etwas Produktives zu tun und so brechen wir in Richtung des kostenlosen Grand Canyon Museums auf. Die Aussicht ist, wie überall in diesem atemberaubenden Nationalpark, phänomenal. Es wird erklärt, wie der Canyon entstehen konnte.

Das einstige Hochplateau wurde vom Colorado River, Nebenströme und Wind und Wetter über 5 Millionen Jahren zu dem zerfurcht, was wir heute den Grand Canyon nennen.
Wasser mit Zeit und Gravitation auf seiner Seite gewinnt gegen Stein. Obwohl hauptsächlich Sandsteine und so abgetragen wurden und die restlichen Steine nachgerutscht sind. Fakt ist, es ist spannend. Nebenbei zischen wir zwei oder drei Simpli Lemonade (Lemonade mit Alkohol). Sie schmecken gut, bis auf den Nachgeschmack, der mich sehr an Sekt erinnert. Runter damit.

Das Museum ist so interessant, dass wir es schaffen, den letzten Bus zu unserem sorgfältig recherchierten Sonnenuntergangs-Spot zu verpassen. Eine Alternative muss her und sie ist schnell gefunden.

Voller Vorfreude steigen wir ins Auto, auch wenn mich während der kurzen Fahrt ein ungutes Gefühl beschleicht. Und wie sagt man so schön? Always listen to your gut.

Wir sind auf der falschen Seite, der zweifellos wunderschöne Sonnenuntergang verbirgt sich hinter Erhebungen und Bäumen vor unseren Augen. Kein Problem, denn der Mather Point, an dem wir uns befinden, hat genug zu bieten.
Also klettern wir auf einen der Felsen, die in den Canyon hineinragen (in Deutschland wäre das alles umzäunt und so nen Scheiß) und lassen uns nieder.

Der riesige Felsen, auf dem wir sind, ist an seiner Spitze zu geformt, dass er eine beinahe perfekte Bank zur Verfügung stellt, und zwar in einer Art und Weise, in der unsere Füße nicht über dem Abgrund baumeln müssen.

Und wir schalten ein neues Gefühl für den Grand Canyon frei: Nachdem wir ihn von Aussichtspunkten und somit vom Rand gesehen haben, wir ganz unten waren und somit mitten in ihm, sind wir jetzt in ihm drinnen, aber eben oben. Es ist toll.

Wir stoßen an, auf diese Sicht, auf unseren Urlaub und auf unser Leben, in dessen Prime wir uns gerade befinden.

Irgendwann ist jede Helligkeit verschwunden, was zur Folge hat, dass wir nichts mehr sehen können. Daraus wiederum folgt, dass uns der Spot nichts mehr zu bieten hat, wir begeben uns ergo zum Auto.

Und sitzen, ohne groß darüber nachgedacht zu haben, plötzlich im McDonalds. Natürlich sind wir entsetzt, aber es fällt uns natürlich nicht ein, mit unserem Schicksal zu hadern. Nein, wir beugen uns und bestellen jenes 7 Dollar Menü, das neben einem Double Cheeseburger auch Pommes, Chicken Nuggets und ein Getränk beinhaltet. Das nenne ich mal einen Deal.

Und das wars auch schon. Das war der ganze Tag. Ein dringend notwendig entspannter Tag. Und trotzdem haben wir mehr Eindrücke gesammelt, als in Wochen in Deutschland möglich wäre.

Amerika eben.


Dienstag, 2.9.

Die Luftmatratzen (Übrigens war die Investition in zwei von ihnen Gold wert) kommt mir heute morgen besonders gemütlich vor. Man liegt gut auf ihnen, quer über beide gestreckt und von der Sonne, die natürlich wie immer auch heute scheint, geküsst. 

Es ist ein Traum, ich lese und lebe, Daniel ist irgendwo anders.

Leider ist das Problem an Träumen, vor allem an den Schönen, dass sie zu schnell enden. Genauso heute.
“Hello?”, ruft eine Stimme. Ich ignoriere es, bleibe cool. Ein weiteres Hello führt dazu, dass ich desorientiert bin. Und das dritte Hello macht es mir unmöglich, nicht mehr zu antworten. Ich erhebe mich, nur in Unterhose. Vor unserem Zelt steht ein Park Ranger, ein Mensch jener Leute, die für die Nationalparks zuständig sind.

“You guys leaving today?”, fragt er mich. Ich bejahe.

“Check Out is till 11am.”, sagt er. 

Ich blicke auf mein Handy. 11:23. 

“Oh sorry man.”, sage ich. “We`ll check out soon.”
“You good. Everything's cool. Take time.” Er ist ungefähr sechzig, mit weißen Haaren und weißem Bart. Sein etwas dickeres Gesicht verleiht seinem Lächeln eine sympathische Note. Ich mag ihn. Was nichts daran ändert, dass ich aufstehen und abbauen muss.

Nachdem alles erledigt ist, knurrt der Magen. Letzter Morgen Grand Canyon!!
Natürlich suchen wir uns einen überragenden Spot an der Schlucht.

Wir nehmen Schüsseln, Cornflakes und Milch mit und setzen uns auf eine Mauer, direkt am Rand. Unsere Füße baumeln in den Abgrund. Ich entscheide mich dazu, meine Nikeletten auszuziehen. Risikominimierung.

Und so sitzen wir da, hinter uns laufen Touristen ohne Ende, wir befinden uns an einem der Hauptwege.

Die meisten beachten uns nicht, auch wenn wir mit Sicherheit ein interessantes Bild abgeben, Müsli essend am Rande der Schlucht.

Eine Frau aber sieht die Vision. Sie spricht uns an, sagt, dass wir sie erschrecken, wie wir da sitzen. Sie ist begeistert. So begeistert, dass sie uns fragt, ob sie uns filmen darf. Und Fotos machen.

Natürlich sagen wir ja. Sie hantiert bestimmt fünf Minuten rum, nichts von dem wir uns stören lassen würden. Wir bleiben natürlich Schauspielerisch 1a (Wofür waren wir sonst in Hollywood?).

Sie erklärt uns, dass sie ein Tiktok machen möchte. Natürlich fragen wir, wie sie heißt. Aprilmillions. Wir sind mittlerweile Online.

Ohne jede Eile (Wozu auch?) machen wir uns irgendwann auf den Weg. Das Ziel? Die leuchtende Stadt. Es geht nach Vegas Baby.

Und während wir so im Auto sitzen und Musik hören (Besten Songs des Urlaubs: So heiß, Das was uns high macht, 2000er) wird uns eine Sache klar, die schon seit dem Beginn des Urlaubs eigentlich offensichtlich ist: Es ist nicht schlimm Auto zu fahren! Es ist keine Zeitverschwendung, sondern eine Chance. Eine Chance, Musik zu fühlen. Eine Chance, mit seinen Gedanken alleine zu sein und sich zu ordnen. Es ist eine der vielleicht krassesten Erkenntnisse, die ich gewonnen habe: Es ist nicht schlimm, im Auto zu sitzen. Überhaupt nicht.

Wer sich mit der Geographie Amerikas auskennt weiß, dass wir durch Wüste fahren. Und der weiß, dass auf dem Weg nach Las Vegas, wenn man von Nordosten kommt, der berühmte Hoover Dam liegt.

Natürlich machen wir dort eine Pause. Als wir aus dem Auto steigen, werden wir erschlagen. So heiß ist es. Wüste halt.

Wir lassen uns nicht aufhalten und erklimmen eine Brücke, die einen beeindruckenden Blick auf den Damm offenbart. Was für ein Bauwerk. Was für ein Geniestreich der Ingenieure! 

Wir fragen uns, wie das möglich war. Und wir recherchieren.

Der Fluss wurde durch zwei Tunnel, die in die Wände gegraben wurden, umgeleitet. Der Damm selber wurde fast fertig an die korrekte Stelle gebracht. Gebaut wurde er woanders.

All das ohne jede Computersimulation; denn das gab es schlichtweg noch nicht. 

Es ist Wahnsinn. Der Damm ist so groß, dass bis zur Brücke, auf der wir stehen, alle Autos über ihn gefahren sind. Was für eine Belastung!
Die Hitze macht uns zu schaffen und so fahren wir weiter. Keine Stunde später sind wir in Las Vegas.

Die Stadt, die niemals schläft. Es ist 20:00 und fast dunkel.

Wir haben keine Zeit zu verlieren, auch wenn wir natürlich einiges an Zeit haben. Wir gehen ins … , eines der vielen Hotel-Casino-Malls der Stadt. Es ist tatsächlich genau das: Eine Art Einkaufszentrum, aber nur die Essensabteilung, dazu eben ein Hotel und diverse Casinos, Spielos und Wettangebote. Die ich leider nicht nutzen darf.

Es ist eine Welt in einer Welt. Und man muss diese Welt nicht verlassen, um zu schlafen oder zu essen. Nein, wenn man will oder man süchtig ist, kann man Tage hier verbringen. Es fehlt an nichts.

Und es ist riesig, die Decke so hoch, dass man das Gefühl hat, draußen zu sein. Im Zentrum befindet sich ein Park mit (Roboter-) Tieren, Löwen, Bären, Wölfen und mehr. Es ist ein kleiner künstlicher Dschungel, der inmitten der Spielautomaten und Fast Food Geschäfte aufgezogen wurde.

Und es gibt einen Wasserfall, hinab von einer künstlichen Klippe in ein Wasserbecken. Ein Wasserbecken, das mehr zu bieten hat.

Um 20:30 beginnt die Wassershow. Für eine kostenlose Show inmitten eines Casinos ist sie spektakulär. Sie spielt mit Farben und Höhen, Wasserstrahlen schießen hervor, tanzen zum Takt der Musik. Scheinwerfer spielen mit Farben und das Wasser scheint eine Geschichte zu erzählen. Zwischendurch heult der Wolf, der am oberen Ende des Wasserfalls steht, ein brüllender Bär antwortet ihm. Nebel zieht über das Szenario, das Licht tanzt zur Musik und taucht die Szenerie in eine Wunderlandschaft. 

Immer höher schraubt sich das Wasser, es überragt die Klippen und schafft es beinahe bis zur Decke, ehe es versiegt, nur um seinen Aufstieg direkt wieder zu beginnen. Es trotzt der Schwerkraft, nur um ihr am Ende doch zu unterliegen. Ein letztes Aufbäumen, dann ist es vorbei. 

Und wir haben Hunger. Natürlich In N Out. Muss ich das überhaupt noch dazu schreiben?.

Wir essen und parken um, wie es der Zufall so will, genau vor dem weltberühmten Welcome to Las Vegas Schild. Überall sind Menschen, es geht auf 22:00 zu und die Stadt wacht auf.
Uns fällt auf, wie unterschiedlich die Menschen sind: Hier ist eine Gruppe Frauen in teuren Abendkleidern, dabei stehen zwei Männer in zerrissenen Jeans. Nur ein wenig weiter gehen leicht bekleidete Damen die Straße entlang, vor ihnen Touristen und alles beobachtet von den unzähligen Obdachlosen, die sich in jeder großen Stadt der USA befinden.

Auch wir ziehen los und treffen auf die Freiheitsstatue. Nur fünfzig Meter weiter steht die Cheopspyramide. Jedes große bekannte Bauwerk der Welt ist hier versammelt. Und das alles nur für Casinos. Es ist absurd.

Und inmitten dieses ganzen Tamtams, dieser tausenden Menschen und Casinos, stehen auf einigen Tischen am Straßenrand Jenga Spiele.

Da lassen wir uns natürlich nicht lumpen. In Las Vegas muss man zocken! Und wenns auch nur Jenga ist. Ich verliere. Kein gutes Omen, zum Glück bin ich noch nicht 21.

Wir bleiben bis 2:00 in der Stadt. Und wir können bestätigen, dass diese Stadt tatsächlich niemals schläft. Alles ist noch offen, als wir zum Auto zurücklaufen: Die Casinos, ist ja klar, aber eben auch fast alles andere. Ob Fastfood oder Läden. 

Wir sehen den Eiffelturm. 

Und wir haben keinen Schlafplatz. Der aufmerksame Leser weiß was jetzt kommt. Wir suchen einen Spot. Und finden ihn nach einigem Rumgegurke.

Wir biegen in einen Schotterweg ein. Ein Schaben lässt und aufschrecken. Die Fahrspuren sind zu tief für unseren geliebten Sonata. Wir müssen adjusten. Daniel steuert das Auto so, dass es auf dem linken Feld und der Mitte des Weges, die höher gelegen ist und zuvor an unserem Auto gemuckt hat, fährt.

Aber auch so kommt unser Sportwagen schnell an seine Grenzen und wir müssen abbrechen. Aber wir sind schon abseits genug.

Fenster auf und Augen zu. Natürlich nicht ohne zuvor ein wenig Brötchen mit Schmierkäse, Schinken und Salat zu essen. Wahlweise auch Humus.


Mittwoch, 3.9. Was hält uns eigentlich vom Chillen ab?

Ganz genau: Nichts. Also tun wir das heute mal.

Wir gehen einkaufen, denn ungünstiger Weise sind mal wieder alle Vorräte leer. Ich muss sagen, unsere Konstanz, wenn es darum geht, hochqualitativ einzukaufen, ist wahrscheinlich in ganz Amerika, wenn nicht sogar weltweit unmatched. Wir kaufen Cinnamon Erdbeer Cornflakes. Dementsprechend geil ist auch das Frühstück, das wir wenig später auf dem Parkplatz eines Sports Centers einnehmen. Getränk gefällig? Schoko und Erdbeermilch von Nesquik. Wir lassen es uns gut gehen. Geld ist zum ausgeben da.

Und wir kümmern uns darum, wo wir schlafen und eben chillen können. Unsere Wahl fällt auf Lake Perres. Etwas mehr als eine Stunde von LA entfernt. Es ist übrigens sau heiß.

Wir finden den See, aber nicht den Campground. Die Amerikaner haben ein Talent dafür, Campground unsichtbar zu machen. Es scheint ein Test zu sein, ob man würdig ist: Nur wer die Fähigkeiten besitzt, das Camp zu finden, darf in ihm schlafen.

Und natürlich haben wir die Fähigkeit und finden es nach zwei falschen Fährten. Klar geht die Quote besser. Aber eben auch schlechter. 

Wenn ihr in Deutschland mal am See war und gedacht habt, ihr habt das perfekte Seewetter, lass mich euch etwas sagen: Nein.

Denn das hier ist das perfekte Seewetter: 35 Grad und Sonne, trotzdem ein leichter, jedoch nicht zu kalter Wind, der dafür sorgt, dass man nicht schwitzt.

Und wir machen das, was wir uns vorgenommen hatten. Wir entspannen. Und entschließen uns dazu, draußen zu schlafen. Denn, ihr habt es euch gedacht, auch dafür ist das Wetter perfekt. Und die Sterne erst.

Also: Matratzen aufblasen, Schlafsack bereitlegen und dann essen. Croissants mit Nutella. Ich danke stumm dem Erfinder.

Ǹatürlich trinken wir dazu unseren Signature Pfirsichsaft, der sich genauso wie In N Out durch den ganzen Urlaub zieht. Back to the basics.

Ich lege mich hin. Ein bisschen lesen noch und dann schlafen, so der Plan.
"Boah, was ist das für eine riesige Spinne.” Daniel hat einen Tonfall zwischen begeistert, überrascht und skeptisch.

Innerhalb eines Wimpernschlages stehe ich. Und kenne die Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Eine Spinne kann uns hindern.

Und das, was da halb unter Daniels Matratze liegt, hat die Bezeichnung Spinne wahrlich verdient: Sie ist groß. Sehr groß. Die größte Spinne, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Und sie ist haarig. Eine sehr große und sehr haarige Spinne.

Jetzt kennen wir uns mit Insekten und Spinnen nicht viel besser aus als der durchschnittliche Bürger, aber eins wissen wir: Große und haarige Spinnen hat man lieber nicht zum Feind.
Und wir wissen, dass wir nicht schlafen werden, solange dieses, zugegeben auf seine Art schöne, Geschöpf in unserer Nähe ist.

Wir beratschlagen: Ich bin dafür, sie zu töten. Daniel will sie versetzen. Wir können uns nicht einigen. Ein Park Ranger soll Abhilfe schaffen. Es ist spät abends und wir sind uns nicht sicher, ob wir noch einen antreffen. Aber wir steigen ins Auto (Ja, selbst auf einem Campground braucht man hier ein Auto, weil die einen Scheiß auf Fußgänger geben) und fahren los.

Und siehe da: Ein Ranger läuft uns nach kaum zwei Minuten über den Weg. Wir erklären ihm unsere verzwickte Lage. Wenig später steht er neben unseren Matratzen.

Natürlich ist die Spinne weg.

Wir zeigen ihm ein Foto, er lacht und erklärt uns, dass sie nicht giftig aber durchaus schmerzhaft ist. Und er empfiehlt uns, ein Zelt aufzubauen. Es gibt auch Schlangen.

Mit einem extra Scheinwerfer leuchtet er uns und hilft uns beim Aufbauen. An dieser Stelle möchte ich betonen, wie unglaublich nett und hilfsbereit alle Menschen waren, die wir getroffen haben. Die Amerikaner sind ein so offenes Volk. Also die, die wir getroffen haben.

Wir bauen das Zelt nur halb auf, um den Himmel sehen zu können.


Donnerstag, 4.9. Wir sind offiziell OGs

Was ist das für ein Geräusch, das meine süßen Träume stört? Diese Frage stelle ich mir für den Bruchteil einer Sekunde, ehe mein Gehirn verarbeiten kann, was passiert. Es ist exakt 5:56 Uhr. Morgens. Und das sehr laute und störende Geräusch wird von einem kleinen, rechteckigen Gerät ausgestoßen, das unbarmherzig sein begonnenes Werk weiterführt. 

Meine linke Hand schnellt aus dem Schlafsack hervor, sucht tastend nach der Quelle des Übels. Nachdem ich mein Handy ertaste, ist es eine Kleinigkeit, es zum Schweigen zu bringen.

Ich drehe mich um, Augen zu und sofort bin ich wieder im Schlummerland.

Bis mich eine Variation jenes ersten Geräusches wieder aus diesem herausreißt. Für Minuten erklingt es, weil keiner von uns die Kraft besitzt, es auszustellen.

Es ist 6:40, als Daniel sich mit der Box verbindet. Es läuft Cro und wir dösen weiter.

Haben wir dafür Zeit? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Egal.

Daniel geht duschen, ich baue das Zelt ab. Dann der Schichtwechsel.

Und dann schaffen wir es doch, irgendwie aufzubrechen. Der Motor unseres Toyotas (NUR LIEBE) schnurrt, als wir den Nationalpark des Lake Peres verlassen.

Die Musik ist gut und die Laune auch. Die Vorfreude beginnt mit der Müdigkeit zu ringen. Mal scheint sie die Oberhand zu gewinnen, nur um wieder in die Knie gezwungen zu werden. Aber schlussendlich gewinnt sie.

Und wir biegen zu einem Taco Bell ab. Begründung: Die gibt es nur in Amerika. Außerdem haben wir das Geld ja. Vielleicht.

Gestern wurde meine Zahlung bei In N Out abgelehnt: Kein Geld mehr auf dem Wise Account. So ist das Leben.

Naja, der Burrito schmeckt auf jeden Fall hervorragend und ist angesichts des zweifellos anstrengenden Tages, der uns bevorsteht, eine der besseren getätigten Investitionen.

Wir fahren in das Parkhaus. 35 Dollar. Das sind Wucher meine Freunde.

Stur lächeln und winken. Wir zahlen.

Level 3, Lot 2d. Per WhatsApp halten wir den Standort unseres Autos fest.

Nur unweit entfernt stehen Züge bereit. Wir müssen an einem K9 Hund vorbei, werden gescannt und mein Rucksack wird durchsucht. Der Sicherheitsbeamte ruft mich zurück. Er hat etwas gefunden, aber ich kann ihn davon überzeugen, dass es sich um nichts Gefährliches handelt.

Wir kommen an. 208 Dollar kosten die Tickets. 

Stur lächeln und winken Männer.
Und dann gehen wir durch das Tor und sehen es: Das erste Disney Schloss der Welt. Im ersten Disneypark der Welt. Wir sind im Disneyland Park in Anaheim Baby! Das OG Disneyland, das von Walt Disney persönlich entworfen wurde!

Wir gehen unter einem Schild durch, auf dem steht: Disneyland, 650.000.000 Einwohner.
Vor uns erhebt sich ein riesiger Kürbis auf der Main Street. Menschen stehen in einer Schlange, wir können uns nicht erklären, warum.

Bis wir es doch können: Sie stehen an, damit Angestellte des Parks ein Bild vor dem Kürbis von ihnen machen können. Wahrscheinlich müssen sie dafür auch noch bezahlen. Verrückte Welt. Wir werden noch viele dieser Fotografen sehen: Vor dem Schloss, bei den Charakteren und in den Häusern der Disney Charaktere.
Wir werden den ganzen Tag nicht ein Bild von uns machen.

Schnell ist die Park App geöffnet und wir schlendern in Richtung unseres ersten Zieles. Wir befinden uns in einer Stadt. Einer sehr belebten Stadt.
Die Häuser sind in altem Stil gebaut, es wirkt wie eine Mischung aus dem Stil der Fünfziger- und der Disney Welt. Die Main Street ist gerade und führt natürlich auf das malerische Schloss an ihrem Ende zu.
Die Gerüche, die uns umfangen, sind wohltuend. Ich rieche frisches Popcorn und Crepes, Waffeln werden gebacken und auch erstes Fleisch wird auf Grills gebraten. Es ist ja schon 11:00.

Unser Plan für den Tag ist einfach: Wir wollen alle von der App abgebildeten Thrill Rides fahren. Und natürlich die Paraden anschauen.

Das erste Fahrgeschäft, bei dem wir uns, natürlich Clash Royale spielend, anstellen, heißt Buzz Lightyear Astro Blazer. Es ist das klassische Schießgeschäft, und wie bei jedem dieser Attraktionen funktioniert es gefühlt nicht wirklich. Ich gebe ihm 2 von 5 Sternen, Daniel 1.

Immer weiter.

Nicht weit entfernt ist die erste Achterbahn. Space Mountain. Sie erhält zweimal 4 Sterne.

Sie ist von Geschwindigkeit und Waghalsigkeit nicht mit den drei schnellsten Achterbahnen des Phantasialand zu vergleichen. Nein, sie punktet auf andere Art und Weise.

Denn sie ist im Inneren eines (künstlichen) Berges. Und da ist es halt nunmal dunkel. Das heißt, es geht nicht um die Geschwindigkeit oder so, nein es geht um die Überraschung. Man sieht nicht, wo es hingeht, plötzlich enge Kurven pressen mich in den Sitz. Es ist herrlich.

Mental gestärkt von diesem Highlight ziehen wir weiter durch Tomorrowland. Und finden Submarine Voyage. Etwas ruhiges. Wir fahren U-Boot durch ein künstliches Meer, während in diesem Meer die Story von Findet Nemo gespielt wird. Zweimal 3 Sterne.

Wir lassen das Tomorrowland hinter uns und treffen auf It's a Small World. Eines jener Fahrgeschäfte, in denen man langsam durch eine aufgebaute, ihr ahnt es, Welt fährt. Mich überzeugt dabei die Musik. Sie geht ins Ohr, auch wenn sie beinahe nur aus den Wörtern its a small world besteht und dahingehend nicht besonders kreativ ist.

Leider kennen wir beide den dazugehörigen Film nicht. 3 Sterne von mir, 2 von Daniel. 

Immer wenn wir anstellen, wird das Zweiklassensystem des Parkes überdeutlich. Die Lightning Lane für zahlende Menschen trennt eben diese von jenen, die sich ganz “normal” anstellen. Der Unterschied zu Deutschland ist die Masse an Menschen, die die Lightning Lane nutzen. 

Wir steigen aus den Booten von Its a small world aus, und erkennen das Perverse an diesem System: Vor uns ist ein leeres Boot gefahren und wir haben uns gefragt, warum es eben leer ist. Die Antwort ist nun vor unseren Augen: Menschen der Lightning Lane haben einen anderen, zweiten Einstieg als die Normalos. Und wenn eben gerade niemand die Lightning Lane nutzt, fahren die Boote leer. Auf Kosten aller, die anstehen.

Es ergibt überhaupt keinen Sinn und uns fallen innerhalb von wenigen Augenblicken viele Möglichkeiten ein, dieses System zu verbessern. Aber es soll anscheinend nicht sein.

Uns steht wieder der Sinn nach Action. Auf der Suche nach der Erfüllung dieses Wunsches stoßen wir in das Adventureland vor. Und wandeln auf den Spuren von Indiana Jones. Beziehungsweise haben es vor. Doch nur wenige Minuten, nachdem wir uns anstellen, ertönt eine Durchsage: Die Attraktion muss geprüft werden oder so, man weiß nicht genau wann es weitergehen kann. 

Viele Menschen verlassen die Schlange und wir stehen vor einer schweren Entscheidung. Machen wir es ihnen gleich oder bleiben wir und verlassen uns auf die Fähigkeit der Mitarbeiter, die Bahn schnell wieder auf Vordermann zu bringen?
Wir bleiben und gehen damit natürlich ein großes Risiko ein: Wird die Bahn für geschlossen erklärt, standen wir umsonst.

Aber wer uns kennt, und das tut ihr alle, weiß das wir kein Risiko scheuen. Und er weiß dass ich ein Glückskind bin.

Was ergibt sich daraus? Richtig, eine deutlich kürzere Wartezeit für uns. Zack.

4,5 Sterne gibt Daniel der Achterbahn, ich gebe 3,5. Ihr Stil sind kleine, plötzliche Wendungen und immer wiederkehrende Hügel. 

Als wir sie verlassen, werden uns zwei Dinge klar: 1. haben wir Hunger und 2. ist das Adventureland der am schönsten gestaltete Teil des Parkes.

Gegen Ersteres suchen wir einen schönen Laden raus und bewegen uns dorthin, während wir Zweiteres genießen. 

Ein alter asiatischer Mann sitzt am Schalter. Er ist cool, das sehe ich auf den ersten Blick. Ich bestelle eine Pulled Pork Burger. 17 Dollar und paar zerquetschte.
Das Handy wird gezückt, Apple Pay geöffnet und die Wise Karte ausgewählt. Piep.

"Imma need 2,56 § from you please.” Ich bin ganz kurz verwirrt, aber lasse mir natürlich nichts anmerken. Immer das Image waren. Die Wise Karte ist schon wieder leer, obwohl ich erst gestern neues Geld draufgezahlt habe. Leben ist hart.

Mit geübten Handgriffen wechsel ich auf die Sparkasse, auch eine Debitkarte, und bezahle den Rest. Zwischen seiner Aufforderung und der Bezahlung sind kaum mehr als fünf Sekunden vergangen. Man nennt mich auch den Flash des Kartenwechselns (Niemand tut das).

Wir dringen in die Galaxien des Universums vor: Wir sind im Star Wars Teil.

Neben uns fährt eine schwer zu übersehende Person auf einem Gefährt vorbei. Überall im Park gibt es diese Dinger, die man ausleihen kann, wenn man nicht laufen will. Oder kann.
Sie erinnern uns an die fahrenden Einkaufswagen im Walmart. 

Bei der Beurteilung der Gefährte und insbesondere ihrer Fahrer muss man natürlich zwischen insbesondere zwei Gruppen unterscheiden: Die, die sie leihen, weil sie wirklich nicht laufen können, wegen Krankheiten, Alter oder Ähnlichem. Diese Gruppe ist in der klaren Unterzahl gegenüber der zweiten Gruppe.

Und zwar die, die zwar laufen können, aber nicht laufen können. Wer versteht, versteht. Und ebenso jemand fährt an uns vorbei und schnauzt uns an, dass wir an einer schlechten Stelle stehen. Man muss nicht besonders fantasievoll sein, um sich denken zu können, wie viele Antworten mir auf der Zunge liegen. Ich schaffe es mit schier unmenschlicher Willenskraft, still zu bleiben. Was für eine Leistung!
Wir kommen beim Millennium Falken an. Auch das Star Wars Land ist sehr cool aufgebaut, es ist extrem nah an den Filmen (leider den schlechten drei). Und auch der Falke ist lebensecht. Leider ist das Fahrgeschäft nicht so der Brüller. Ich weiß jetzt (es ist Samstag und ich sitze am Flughafen) nicht mal mehr, worum es da ging oder was da passiert ist. Aber ich habe meine Notizen und die sagen ich 2 Sterne, Daniel 3.

Auch vor dem Falken kann man sich fotografieren lassen.

Wenig später stehen wir vor dem Matterhorn. Natürlich eine Bob-Achterbahn. Wir stehen an, zocken Clash Royale und Daniel schafft es mal wieder aufgrund seiner nicht vorhandenen Erfahrung, mich an den Rand der Verzweiflung zu bringen. Ich Ragequitte (wie bei den meisten unserer Duo-Spiele an diesem Tag).

Irgendwann hat jedes Warten sein Ende und wir sind dran: Sie ist eng, diese Bahn. Und es tut weh, sie zu fahren. Mein Rücken spürt eindeutig, dass es keine moderne Achterbahn ist. Ich werde hin und her geschleudert und das obwohl meine Beine kaum Platz haben. Ein Rätsel der Physik.

Nichtsdestotrotz macht die Bahn Spaß. Sie verdient sich 3 Sterne von mir, Daniel gibt 2. Er ist ja auch nochmal größer als ich.

Wie jeder weiß hat jeder Tag, ist er auch noch so schön, auch dunkle Momente. Und wir bewegen uns auf den dunklen Moment des Tages zu, ohne es zu wissen. Dunkel ist auch nicht unbedingt schlecht zu verstehen. Es ist lediglich das Lowlight des Tages- es geht um die Relation

Wir laufen in Richtung Mickey's Toontown. Uns wird schnell klar, um welchen Teil des Parkes es sich handelt: Kleine Kinder. Sie sind überall und sie sind süß. Sie haben Spaß und jeder weiß, dass nichts so ansteckend ist wie Kinderlachen.
Das Problem: Die “Achterbahn” die wir fahren wollen, ist eben auch für diese Kinder. Chip Dales Gadget Coaster ist dementsprechend langweilig. Für uns. 0 Sterne von mir, einen von Daniel. Die Kinder aber lieben sie. Wir haben uns verschätzt. Immer weiter.

Es ist mittlerweile schon 18:30 oder sowas, wir haben zwischendurch eine kleine Parade gesehen, die ich aufgrunddessen was noch kommt hier nicht näher beschreibe, als wir uns dazu entscheiden, nass werden zu wollen.

Oder besser gesagt Daniel entscheidet es. Und so stehen wir ehe ich mich versehen kann und trotz meiner deutlichen Proteste in der Schlange zu Tianas Bayou Adventure. 

Eine Wasserbahn. Und die Menschen, die aus ihr herauskommen, deuten daraufhin, dass die Chance, einigermaßen trocken zu bleiben, gegen null geht.

Die Wartezeit ist kurzweilig, weil die Bahn so wunderschön gestaltet ist. Man fühlt sich, als wäre man im Dschungel. Gleich sind wir dran, vor uns werden die Menschen zugeteilt.

Genau bei uns stoppt der Mitarbeiter und ich stöhne auf: Das heißt automatisch, dass wir die ersten beiden Plätze haben werden. Alle Hoffnungen sind verloren.

Schon beim Einsteigen werden meine Schuhe nass. Ich bekomme ein ziemlich ungemütliches Deja Vu aus Bonn. Wir versuchen, den Rucksack nach ganz vorne zu bugsieren, unter einen kleinen Schutz. Es wird vergeblich sein.

Die Fahrt geht los. Wir fahren durch kleine Wasserstraßen, an deren Seiten Handlungen aus dem Film, um den sich das Fahrgeschäft dreht, gezeigt werden. Wir sehen Natur und Menschen, haben aber den Film nicht gesehen und dementsprechend keine Ahnung. Schön ist es trotzdem.

Dann kommt das erste Förderband. Langsam aber stetig zieht es uns nach oben, innerhalb einer kleinen Höhle macht es unwiderruflich seinen Job. Der erste Drop steht bevor.

Das Adrenalin schießt durch meinen Körper, als wir herunterschießen. Und es verlässt ihn, als wir unten ankommen, das Wasser und bremst und uns dabei mit seiner ärgerlichen Angewohnheit zu spritzen, nass macht. Nass, aber nicht vollkommen durchnässt, setzen wir die Reise fort.

Nach einer Verschnaufpause kommt das nächste Förderband. Es befördert uns in eine Höhle. Eine komplett dunkle Höhle. Und plötzlich, von einem Moment auf den nächsten, rasen wir hinab. Nur um wieder ein Stück aufwärts zu fahren und von einer Art Gummimatte aufgefangen zu werden. Für einen kurzen Moment denke ich, dass dieser Drop uns verschont hat. Was ist das mit den Gedanken noch gleich? Man sollte sie nicht denken. Sie können falsch sein.

Wie falsch dieser war, merke ich einen Lidschlag später. Die Gummimatte hat uns natürlich nicht komplett zum Stehen gebracht. So schnellen wir in den Wasserkanal. Ich sehe, wie sich eine für einen so kleinen Kanal viel zu große Welle an beiden Seiten unseres Kanus bildet. Ich sehe einzelne Tropfen, es kommt mir wie in Zeitlupe vor. Das Wasser hebt sich weit über unser Gefährt hinaus und fällt immer weiter auf mich zu. Ich kann es spüren. Aber ich bin machtlos.
Und durchnässt. Und wenn ich durchnässt sage, meint das, dass nichts mehr trocken ist.

Immer weiter.

Als wir aus der Bahn kommen, ziehe ich mein T-Shirt aus und wringe es aus. Es wird merklich leichter.

Es ist etwas nach sieben und zum Glück noch immer ziemlich warm. Aber halt nach sieben. Also auch nicht so warm. Mann oder Maus?
Wir greifen unser letztes Ziel vor der Parade an. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen ist, dass sich sehr viele Menschen bereits am Rande der Main Street positionieren. Eine Stunde vor Beginn! 

Wir, ahnungslos wie wir sind, stellen uns bei Star Wars: Rise of the Resistance.

Wir stehen nicht lange an, bis wir mit einer Gruppe von Menschen in einen kleinen Raum gebracht werden. In Erwartung einer Achterbahn sage ich zu Daniel, dass dieses Schleusen zum Täuschen der Wartezeit unnötig ist. Oh, wie naiv ich war.

Uns wird ein Video abgespielt, dann redet diese Jedi-Frau (kp wie sie heißt ist aus den neuen Filmen und die finde ich scheiße) über die Resistance und erklärt uns unsere Missionen. Wir sind neue Rekruten und sollen Fynn helfen.

Wir werden weiter geschleust, in ein Raumschiff und fliegen durch die Galaxien. Wir werden angegriffen und von der ersten Ordnung gefangen genommen. Es ist beeindruckend realistisch. Alle Vermutungen, was uns erwarten könnte, sind weit vorbei.

Die Tür des Raumschiffes geht auf und eine Offizierin der First Order kommt herein. Sie schnauzt uns an, dass wir nun Gefangene der First Order sind und von Kylo Ren persönlich verhört werden.

Wir gehen an Sturmsoldaten vorbei und kommen in einen großen Raum, in dem wir von weiteren Offizieren empfangen werden. Wir werden in Vierergruppen eingeteilt und mit vier dieser Gruppen in eine Zelle verfrachtet. Plötzlich erscheint Kylo Ren. Er droht uns, dass wir reden sollen und wendet seine Macht an: In perfekter Synchronisation mit dem 3D Bildschirm, auf dem Kylo die Macht “entfesselt”, flackern Lichter oder bewegen sich Gegenstände in unserer Zelle.

Plötzlich wird der Sith unterbrochen. Die Resistance greift an und wir kommen in einen weiteren Raum, bei dem wir innerhalb unserer Vierergruppe in einen Wagen steigen.

Dieser befindet sich nicht etwa auf Schienen oder ähnlichem, sondern auf schwarzem, glänzenden Boden. Wir sind der Meinung, es handelt sich um einen Magnetboden.

Ohne Vorwarnung rasen wir los. Wir kommen in eine Art Fahrstuhl, werden nach oben gefahren und rasen weiter. Wir sind auf dem Schiff der First Order, es ist so realistisch und doch so rasant. Wahnsinn.

Die Fahrt geht weiter und plötzlich stehen wir an der Brücke. Über uns ist der erste Offizier und Kylo Ren. Aber nicht auf einem Bildschirm, sondern lebensecht. Wir sind uns nicht ganz sicher, ob es sich um Roboter oder tatsächliche Schauspieler handelt. Wir tendieren zu Roboter, aber wie menschlich sehen sie aus!
Wir fliehen vor Kylo, der uns natürlich gesehen hat, ein kleiner Freefall bringt uns wieder nach unten. Und dann befreit uns die Resistance, wir werden auf eines ihrer Schiffe gebracht und sind nun offiziell keine Rekruten mehr. Es ist Wahnsinn. 

Als ich aus dem Wagen steige, fühle ich mich, als hätte ich tatsächlich in einer Schlacht gekämpft. Ohne Diskussion gibt es von uns beiden fünf Sterne.

Unsere Beine tragen uns direkt zu der Main Street. Sie ist gesäumt von Menschen, Seile signalisieren, wo man stehen darf und wo nicht, viele sitzen, weil sie schon so lange warten.

Wir sind begeistert. Denn viele Menschen bedeuten auch, dass das, was kommen wird, äußerst cool sein muss. 

Daniel geht auf die Toilette und ich beobachte das Treiben der Massen. Ein leises Aufjubeln der Menschen weckt mein Interesse. In bester Kommissar-Kugelblitz Manier finde ich die Ursache prompt: Ein Antrag. Malerisch vor dem Disney Schloss. Und vor tausenden Menschen, die alle nur den knienden Mann und seine Angebetete beachten.

Druck. Ich kann mir nicht vorstellen, wie nervös der Mann sein muss.

Sie sagt ja!!! Die Menge rastet aus, allen voran ich. Ohne Mühe bin ich einer der Lautesten. Geil.
Wir suchen einen Platz innerhalb der Seile. In unserer absoluten Eleganz und Übersicht entdecken wir eine Lücke. In beinahe graziler Anmut ducken wir uns unter dem Seil hindurch und stehen im gelobten Land.

“I don't know if you can stand here.”, die Stimme, die da spricht, klingt weinerlich. Sie kommt aus einem kleinen, gedrungenen Mann mit Kinderwagen. Wir ignorieren ihn getrost, aber lassen ihn noch zu seiner Familie durch. 

Ich werfe ihm einen abwertenden Blick zu. Er ist still und wird es auch bleiben. Besser so.

Und so stehen wir da und warten. Angestellte des Parks säubern die Straße und verschwinden in den Schatten des Abends. Von einem Moment auf den anderen wird die gesamte Straßenbeleuchtung und alles, was sonst noch so außerhalb der Läden leuchtet, gelöscht.
Und dann sehen wir den ersten Wagen. Es ist ein riesiges Rad, ähnlich einem Hamsterrad. Auf ihm sitzt Peter Pan. Es leuchtet in allen möglichen Farben und wird von einer ebenso leuchtenden Tinkerbell angeführt. Ganz an der Spitze befinden sich als Elfen verkleidete Tänzerinnen. Und ich gebe zu, das Lied, das läuft, geht ins Blut. Und sie tanzen gut. Und sie sehen gut aus.

Genauso wie das nächste Thema, das folgt: Cars Baby. Ein strahlender Lightning McQueen führt das Feld an, ihm folgen Tänzer und sein großer Lastwagen. Es ist atemberaubend.

Und so geht es weiter. Am Anfang der einzelnen Themen befinden sich Tänzer oder Tänzerinnen, dann folgen die Hauptcharaktere auf aufwändigen Wägen oder Fahrzeugen. Sie drehen sich in der Luft oder winken einfach nur. Einige der Tänzerinnen klatschen mit Kindern ab. Eine Frau versucht sich ein High Five abzuholen, aber sie wird härter gekorbt als ich von einer gewissen Basketballerin.

Als die Disney Prinzessinnen kommen, besser gesagt als ihre Tänzerinnen kommen, stockt mir der Atem: Sie alleine sind breathtaking.

Es scheint nicht aufzuhören. Eine halbe Stunde lang fahren Wägen über die Straße, tanzen Tänzer und läuft Musik. Alle sind gut gelaunt. Wie kann man das bei diesem Anblick auch nicht sein?

Der Abschluss dieses Tages ist so unglaublich würdig, dass ich es nicht wage noch weiter zu schreiben. 

Disney, wir lieben dich. 5/5 Sterne.


Freitag 5.9. Olympia

Kennt ihr das, wenn ihr an einem Tag früh aufstehen musstet und dafür am nächsten extra lange liegen bleibt?
Ich kenne es zur Genüge, auch wenn ich zugegebenermaßen im letzten Jahr selten früh aufgestanden bin.
Und wir wenden diese bewährte Praktik heute skrupellos an. Zwischendurch kommt der Besitzer des Venice Beach Hostels, in dem wir wieder schlafen, vorbei und unterhält sich mit mir.

Mit den Worten “Gotta do some lazy days.”, verabschiede ich mich von ihm und er verlässt grinsend das Zimmer. 

Es ist nach zwölf, als wir aufstehen. Und ohne Essen (Wir haben ganz einfach nichts mehr) in Richtung Auto trotten.
Es muss ausgeräumt, sortiert und gesaugt werden. Wir pumpen unverhältnismäßig laut Deutsch-Raop, jene Stilrichtung, die uns den ganzen Urlaub über begleitet hat.

Es geht deutlich langsamer voran als gedacht. Aber was soll's? Wir sind in LA man, das Wetter ist überragend und die Musik gut. Es fehlt uns an nichts.

Als das Auto leer ist, fragen wir den Hostelbesitzer nach einer Möglichkeit, es zu saugen. Er erzählt uns was von einem Self Car Cleaning 50 Meter entfernt. Seine Beschreibung ist so wirr, dass wir keine Chance haben, es zu finden. 

Dazu muss man sagen, dass der Verkehr in LA vollkommen unverhältnismäßig ist und die Leute fahren wie sie wollen. Aber wir auch.
Google Maps schafft Abhilfe und im Handumdrehen ist das Auto gesaugt. Zurück beim Hostel, laden wir die Sachen, die wir an der Straße haben stehen lassen, ein und machen uns auf zu Venice Beach. 9 Dollar kostet der verdammte Parkplatz. Geht eigentlich, fällt mir gerade auf.

Wir schlendern so ein wenig entlang und es ist unglaublich, wie verschieden die Menschen sind, die uns begegnen.

Da sind natürlich die Straßenverkäufer, die, fast ausnahmslos am Kiffen, ihre Waren anbieten. Uns überholt ein alter oberkörperfreier Skater, der uns nur eine Minute später wieder entgegenkommt. Wir sehen Männer in Anzug und andere in Unterhose. Einige tragen die Hose in den Knien, andere sind mit Gucci und Balenciaga unterwegs.
Aber sie haben alle eins gemeinsam: Sie sind gut drauf. Die Sonne knallt, aber der Wind, der vom Meer her kommt, sorgt dafür, dass es nicht zu heiß wird.

Wir kaufen uns was zu trinken und unser Blick fällt auf eine Menschenmenge, die sich um eine Skateanlage versammelt hat.
Uns ist sofort klar: Da müssen wir hin.

Wir sind an der weltberühmten Skateranlage von Venice Beach!
Ein Mann mit Rollschuhen fährt unter den ganzen Skater. Irgendwie schaffen es die Sportler, sich nie über den Haufen zu fahren.

Der Rollschuhfahrer ist ein älterer schwarzer Mann mit glänzender Glatze. Und er springt über ein wahrscheinlich zwei Meter hohes Hindernis, gebaut aus einem Schild und einer Pylone.
Eine Influencerin wird auf ihn aufmerksam. Sie spricht ihn an. Wenig später machen sie ein Selfie. Sie unterhalten sich. Ein paar Sätze nur doch sie reichen, dass sich die Frau vor das aufgebaute Hindernis stellt.

Der Mann nimmt Anlauf. Aus Reflex halten wir den Atem an. Er wird schneller, rast durch den Skatepark, fährt hoch, alle Muskeln zum Absprung bereit. Doch er bricht ab.

Dreimal wiederholt sich dieses Spiel. Doch weder er noch die Influencerin sind willens, abzubrechen. Ihr Fotograf positioniert sich noch einmal neu.

Der Landebereich wird freigeschaufelt. Der Mann springt ab, fliegt über die Pylone, streift den Kopf der Frau und landet. Ein Raunen geht durch die Menge. Geschafft.
Die geschossenen Bilder werden skeptisch begutachtet. Die Frau ist nicht zufrieden. Der Fotograf stellt sich jetzt frontal vor sie und das riskante Spiel beginnt von vorne.

Doch es wird nicht mehr gelingen.
Wir schauen den Skatern zu, entdecken auf entspannt eine 10 von 10 und merken langsam, dass wir an der falschen Bowl stehen. Wir müssen dahin, wo es abgeht, ey.

Wir bahnen uns einen Weg. Alle Plätze sind schon besetzt.

Hinter uns steht ein Red Bull Fahrzeug, ein futuristischer Truck, auf dem ein DJ auflegt. Wir viben kurz mit ihm und versuchen dann, uns einen guten Platz zu sneaken.

Auf einer kleinen Mauer starten wir unseren Angriff. Nur wenige Schritte vor uns befindet sich ein Red Bull Sonnenzelt und wir sehen den Mann hinter der Stimme, die die ganze Zeit laut aus den ringsherum aufgebauten Lautsprechern ertönt.

“We gonna do cash for tricks in about ten minutes.”, sagt sie.

“Girls only warm up starts right now.”, schließt sich eine Frauenstimme ihm an. Wir verstehen langsam das Ausmaß des Events. Red Bull haut Kohle für Skater raus. Wir haben Bock.

Wir erarbeiten uns einen herausragenden Platz, mit perfekter Übersicht und kaum später geht es los. 15 Minuten nur die Girls.

“We got Olympians here. Sky Brown in the Bowl right now.” Ich drehe mich zu Daniel.

“Hat der Typ grad Olympians gesagt?” “Ja man, wie geil alter.”, antwortet er.

Und da fährt sie mit irrem Tempo auf die extra installierte Verlängerung der 90 Grad Wand der Bowl zu. Sie springt, ihr Skateboard dreht sich irrwitzig oft, sie bekommt es zu fassen… und stürzt.

Schon ist die Nächste in der Bowl. Wir haben natürlich keine Ahnung, was für Tricks sie machen. Aber was wir sehen, auch wenn wir uns null auskennen, ist, dass sie gut sind. Verdammt gut.

Und trotzdem landen sie kaum einen Trick. Jedes Mal wenn eine fällt ist schon die Nächste in der Bowl. Es gibt keine festgelegte Reihenfolge. Es scheint auch darum zu gehen, den richtigen Moment abzupassen um in die Bowl zu fahren. Manchmal starten zwei gleichzeitig, aber eine von ihnen bricht immer ab. Es funktioniert reibungslos.

Sky Brown landet ihren Trick. Die Menschen rasten aus. Auch wir schreien rum. Was für ein Vibe hier herrscht! Überall gehen die Menschen ab und appreciaten das, was sie sehen.

Eine der Skaterin ist aus Australien, andere aus Japan, ein paar auch aus Amerika. Das sind die verdammten Olympioniken, die da vor unseren Augen skaten. Im Hintergrund beginnt die Sonne zu sinken, die Wellen tanzen zur Musik und der Wind kühlt die erhitzte Luft ab.

Nach der Only Girls Zeit wird die Bowl für alle geöffnet. Joda ist der erste Mann, der einen Trick landet. Die Menschen gehen dumm.
Er holt sich seine 1000 Dollar ab und stürzt sich wieder in die Bowl. Nur kurze Zeit danach gibt es den ersten und einzigen Zusammenprall. Natürlich zwei Typen. Die Frauen haben sich deutlich besser organisiert.

Es ist spektakulär. Jeder packt alles aus, was er hat. Fast alle Fallen hin. Doch das Interessante ist, dass sie sich nicht um sich kümmern, sondern sofort aufspringen, ihrem Board hinterherjagen und aus der Bowl klettern. Denn die nächsten sind schon längst in ihr.

Am Ende des Cash for Tricks wurden vielleicht fünfzehn Tricks gelandet. Bestimmt zwanzig Mal so oft wurde hingefallen.

Jedes Mal wenn ich merke, dass der Trick nicht gelingen wird, werde ich nervös. Die Athleten sind unheimlich hoch in der Luft. Doch sie landen entweder geschmeidig oder fangen die Wucht des Sturzes durch geschicktes Rutschen auf. 

Das Event verschiebt sich: Head to head races stehen auf dem Programm. Komplett waghalsig sollen sich immer zwei der Athleten in einen Parkour auf dem Skatepark schmeißen. Wer zuerst im Ziel ist gewinnt. Wie man ankommt? Egal.

Die Ersten starten. Wir haben mal wieder hervorragende Plätze.

Beide fallen, ziemlich übel, bei einer scharfen 90 Grad Kurve hin. Keinen Lidschlag später stehen sie schon wieder, rennen einen Hügel hinauf und rasen ins Ziel.

Sie scheinen sich alle zu kennen, lachen und haben ohne Ende Spaß, egal ob Gewinner oder Verlierer. Und das obwohl es um Geld geht.

Eine der Mädchen ist komplett in Adidas gekleidet. Erst jetzt fällt uns auf, dass viele von ihnen gesponsert sind. Wie sonst sollten sie sich das finanzieren.

Achso, hab ich eigentlich erwähnt, dass das Ganze live übertragen wird? Jap. Wird es.

Es ist unglaublich, wie die Menschen sich gegenseitig hypen, wie die Zuschauer bei Stürzen oder krassen Aktionen ausrasten. Es ist ein durch und durch positiver Vibe.

Und es wird langsam kalt. Also ab zum Auto, Jacke holen und dann weiter.

Wir bleiben am angehenden Sonnenuntergang hängen. Schnell ist eine Wiese gefunden und wir beginnen zu staunen.

Wenn das Wort würdig eine Definition bräuchte, würde ich diesen Sonnenuntergang nennen. Denn das, was uns die Natur bietet, ist ein absolut würdiger Abschluss für einen absolut gestörten Urlaub.

Auf einmal erscheint ein Hubschrauber am Himmel. Ich denke, dass es einer der für LA typischen Rundflüge ist. Bis der grelle Suchscheinwerfer uns anstrahlt. Er streift uns und leuchtet dann die Promenade des Beaches ab. Jetzt kommen auch die Bodentruppen. Bestimmt acht Polizeiautos und Quads kommen angefahren, Polizisten steigen aus und rennen irgendwo hin.

Es ist wirklich original wie aus einem Film. Der schönstmögliche Sonnenuntergang und die atemberaubende Natur auf der einen und ein Großeinsatz der Polizei auf der anderen Seite. Ich weiß nicht mehr, wo ich hinschauen soll.

Wir bleiben lange sitzen, bis das letzte Orange vom Himmel verschwunden ist. Ich liebe Kalifornien.

“Ein letztes Mal In N Out.”, sagt Daniel. Natürlich stimme ich zu.

Wir fahren hin, es ist vielleicht 21:30 oder so.
Ich gebe euch einen Tipp, wie ihr reich werden könnt: Macht einen verdammten In-N -Out in Los Angeles auf.

Wir entscheiden uns für den Drive-In. Wo wir stehen müssen, fragt ihr euch? Auf der Hauptstraße. Nicht auf der Straße, die tatsächlich zum Laden führt. Nein, auf der vierspurigen Hauptstraße stehen die Autos. Es ist verstörend.

Als wir auf den Parkplatz einbiegen, wird uns klar, wie phänomenal das Ausmaß der Menschen ist, die hier essen.

Der ganze Parkplatz ist voll. Überall stehen Jugendliche in Gruppen, essen oder trinken und machen scheiße. Den Augenblick, als ich all die Menschen vor einem einfachen Fast-Food-Laden gesehen habe, werde ich weder vergessen noch beschreiben können.

Natürlich stellen wir uns, nachdem wir unser Essen haben, auf besagten Parkplatz und observieren.

Ein Junge hat Stress mit einem Mädchen. Immer wieder geht sie wütend auf sie zu und er rennt weg, nur um sie wieder zu provozieren. Es ist unmöglich zu deuten, ob es ernst ist oder sie miteinander flirten.

Kurze Zeit später wirft eine Gruppe Jungs Eiswürfel auf ein parkendes Auto. Ein Mitte Zwanzigjähriger steigt aus und schiebt Stress. Die Halbstarken scheinen eingeschüchtert.
Natürlich versperren sie bei ihrem ganzen Getue die ganze Zeit den Parkplatz.

Ein Auto ist ungeduldig und hupt sie an. Sofort strecken sich ihm bestimmt zwanzig Mittelfinger entgegen. Einer der Jungs springt an die Seite und hält sich fest. Ein feierndes Gejohle ist die Folge.

Das Auto beschleunigt, als sei es ein Wildpferd, das seinen Reiter abzuwerfen versucht. Der Junge hält sich eisern fest. Nach ein paar Sekunden, die sich anfühlen wie eine Ewigkeit, bleibt das Auto stehen. Der Junge springt ab und geht zu seiner Gruppe zurück.

Die haben ihre Aufmerksamkeit schon längst auf einen Kampf zwischen zwei Jungs gelenkt.

Das Mädchen von vorhin geht dazwischen. Natürlich sinnlos. Wieder können wir nicht beurteilen, ob es Ernst oder Spaß ist. Wir bleiben passiv.

Da rollt die Polizei auf den Parkplatz. Sie leuchtet die Jugendlichen an und positioniert sich dann etwas entfernt. Fast zeitgleich fährt ein Waymo auf den Parkplatz.

Gefundenes Fressen für die Jungs.

Der erste schlägt nur drauf. Der zweite springt auf die Motorhaube des Jaguars und der dritte twerked.
Die Polizei ist offensichtlich amüsiert, sie lacht aber greift nicht ein. Ein bisschen Spaß muss sein.

Erst nachdem die Jugendlichen abgezogen sind, fahren auch wir. Wir haben uns keine Sekunde dieses kostenlosen Entertainment entgehen lassen.
Im Hostel treffen wir einen Deutschen. Man kann ihnen einfach nicht entfliehen. Ich habe seinen Namen vergessen, aber er ist nett. Und auf einmal ist es 1:00. Ab in die Falle. Morgen heißt es früh aufstehen.


Samstag 6.9. Ich will nicht gehen

6:15. Ich bin zu meinem eigenen, nicht kleinen Überraschung vor dem Wecker wach. Nur paar Minuten, aber wie konnte das passieren?? Wo ist der Jakob, den ich schätze und liebe?

Ab unter die Dusche, dann Daniel wecken und Abfahrt. Wir fahren durch die leeren Straßen LAs. Die Stadt schläft noch. Aber das Wetter ist schon herausragend.

Ich betrachte die Palmen, die wie überall die Straßen säumen. Ich liebe sie. Und ich will nicht zurück nach Deutschland. Ich bin in Kalifornien verliebt. In die Natur und die Städte, in die Menschen, die Sprache und die Kultur.

Aber es hilft nichts. Natürlich verfahren wir uns, aber mir bleiben trotzdem noch über fünfzig Minuten. In Seelenruhe schlendere ich durch den riesigen Flughafen. Ich bleibe nonchalant bewege mich durch die Sicherheitskontrolle (natürlich werde ich wieder mal abgetastet) und schreite anmutig aber doch cool zum Gate (also in meiner Vorstellung; in der Realität bin ich mit den beiden Rucksäcken und einem Kissen bewaffnet wohl eher ein klassischer Reisender).

Am Gate angekommen, schreibe ich ein wenig, ehe ich mich, natürlich als einer der letzten, zum Boarding bereit mache (Ich sehe nicht ein, in einer Schlange zu stehen, wenn ich genauso sitzen kann).

Der Flug ist entspannt, ich lasse mich vom Arbeitseifer der Frau neben mir anstecken (natürlich sitze ich in der Mitte) und arbeite an dieser kleinen aber feinen Schrift.

In Detroit habe ich über drei Stunden Zeit. Und noch nichts gegessen. Also gönne ich mir erstmal zwei Hotdogs und Pommes. Und das erste Mal bezahle ich auf dem typisch amerikanischen Weg. Ich lege meine Karte auf den Beleg, die Kellnerin nimmt sie mit, bezahlt und bringt sie wieder. Dazu legt sie einen Stift und eine Copy, auf der ich mein Trinkgeld geben kann. Ich bin gut drauf (weil warum auch nicht?) und runde auf 20 Dollar auf.

Die restliche Zeit vertreibe ich mir mit Schreiben.

Und diesmal schaffe ich es: Ich bin der Last Man Standing beim Boarding. Man muss nichtmal seinen Boarding Pass zeigen, lediglich das Gesicht wird gescannt.

Als letzter betrete ich das Flugzeug und schlendere entspannt zu meinem Sitz. Nur keine falsche Eile!
Der Mann links neben mir lässt mich nett rein und da erscheint es: Das Gefühl des Triumphs. Rechts neben mir sitzt niemand!!! Wie kann man so viel Glück haben? Auf beiden langen Flügen habe ich zwei Sitze für mich.

Der Mann neben mir liest sich die Beschreibung zu einem Film durch. Ich lese interessiert mit. Er muss meinen Blick bemerkt haben, denn er spricht mich an. Ich verstehe ihn nicht, nachdem ein Kopfhörer entfernt ist, funktioniert das besser.
“So youˋre going back home?”, fragt er mich.

“Yes, what you gonna do in Germany?” Er wird auf eine Konferenz in Heidelberg gehen. Ich bin interessiert. Und er ist nett.

Ich erzähle ihm von meiner Reise. Wir kommen auf San Francisco, unterhalten uns darüber, dass er noch nie beim Grand Canyon war und über die unzähligen Obdachlosen in den Städten Amerikas.

Eins führt zum anderen und ehe ich mich versehe reden wir über Politik, Gefängnissysteme und dass die meisten mächtigen Menschen Narzisten sind.

Wir sind uns einig darüber, dass Skandinavien ein Vorbild ist, ich erkläre ihm, wie erfolgreich die Gefängnisse dort sind.

Wir reden darüber, wieviel sicherer Deutschland als Amerika ist, er erzählt mir, dass er während seiner College-Zeit neben einer Drogenbande gewohnt hat und mit einer Waffe unter seinem Kissen geschlafen hat.
Wir reden darüber, wie vorschüssiges Vertrauen die Gesellschaften verändern könnte. Wir reden und reden und reden.

Ich rede über mein Lieblingsbuch und argumentiere, dass der Mensch gut ist. Er stimmt mir zu und wir spinnen unsere Gedanken weiter. Ich habe sofort erkannt, dass ein sehr gebildeter Mann neben mir sitzt.

Er kennt sich aus, ich auch. Und wir sind uns in den meisten Sachen einig: Machthaber entscheiden meistens, um wiedergewählt zu werden. Ihnen steht ihr falsches Ego im Weg. Er ist der Meinung, dass Obdachlose in psychologische Anstalten gesteckt werden sollten, da man dort die Ursachen für ihren Drogenkonsum bekämpfen könne. Ich stimme ihm teilweise zu, widerspreche aber beim Thema geschlossene Anstalten.

Nachdem wir so zwei Stunden geredet haben, kommt eine Frau vorbei. Sie redet kurz mit ihm und als sie wieder weg ist, erklärt er mir, dass sie eine der führenden Wissenschaftler bezüglich Brustkrebs ist. Weltweit.

Ich bin beeindruckt und erfahre, dass er mit ihr zusammenarbeitet. Er erzählt davon, dass sie beide auch die größten Studien zum Thema Corona in den USA durchgeführt haben und dabei Zusammenhänge zwischen psychischen Problemen und Verläufen festgestellt haben.

Er erklärt, warum die Impfungen für einen gesunden Mann zwischen 15 und 49 gefährlicher sind, als sich nicht impfen zu lassen. Ich muss sagen: Der Mann hat Ahnung ohne Ende.

Er erzählt von einem der Paper, die er zum Thema Psyche und Corona veröffentlicht hat. Erst jetzt erfahre ich seinen Namen: Aaron Norman. Auch ich stelle mich vor.

Wir driften auf Religion ab und es werden schnell zwei Sachen klar: Er ist sehr gläubig und extrem Bibelorientiert (später offenbart er mir dass er Biologie und Bibellehre oder so studiert hat) und er hat zwei wesentliche Unterschiede im Glauben zu mir.
Wir sind uns einig über Jesu Taten, darüber, dass Gott All-Loving und All-Mighty ist, darüber, dass die Moral Jesu von den meisten Menschen übernommen wird, auch wenn sie nicht gläubig sind. Wir sind beide Gegner der Stur- und Machtversessenheit der katholischen Kirche und glauben daran, dass die freie Entscheidung unumgänglich auf dem Weg zu echtem Glauben ist. Ich könnte ewig so weitermachen, denn unsere Ansichten sind sich sehr ähnlich.

Doch er ist der Meinung, dass die Bibel das direkte Weg Gottes ist, während ich denke das Gott zwar Inspiration war und inhaltlich gewirkt hat, die Bibel aber trotzdem ein menschgemachtes Buch ist und deshalb extrem viele Interpretationen zulässt. Wie wir darauf gekommen sind?
Die Diskussionsfrage, die einzige, in der wir uns einigen konnten, war die folgende: Er ist der Meinung, dass alle Menschen Sünder sind und im Vergleich zu Gott dementsprechend “death-worthy” sind. Er argumentiert, dass Gott voller Mercy ist und sich in seiner Allmacht dazu entscheidet, uns Leben zu lassen. 

Ich widerspreche heftig, weil ich zu viele Menschen kenne, die alles aber nicht “death-worthy” sind. An meinen Argumentationen stört ihn, dass ich keine Bibelverse nenne. Ich sage, dass ich das mit Sicherheit könnte, weil die Bibel eben viel Interpretationssache ist und im Geiste der damaligen Zeit verstanden werden muss. So sind wir auf unsere oben beschriebene Meinungsunterschiede bezüglich dieses Buches gekommen.

Der Kern unserer Diskussion und das fällt uns erst nach gut einer Stunde auf, ist aber folgender: Während ich der Meinung bin, dass Gott All-Forgiving ist, in der direkten Konsequenz also jeder einzelne Mensch in den Himmel kommt, glaubt er dass Gott “full of mercy" ist. Eine kleiner, aber doch entscheidender Unterschied in unserer Sichtweise, der natürlich die anderen Meinungsverschiedenheiten als direkte Folge hat. Ich könnte wahrscheinlich eine ganze Abhandlung über diese Diskussion schreiben, so tief geht sie und so lehrhaft und interessant ist sie. Und das alles mit einem komplett Fremden in irgendeinem Flugzeug! Verrückte Welt.

Er lobt mein Englisch, als ich sage, dass ich gerne auf deutsch argumentieren würde. Nach einer kurzen Toilettenpause sagt er, dass er aufgrund meiner Wortwahl, der Art meiner Fragen und Argumentationen niemals gedacht hätte, dass ich erst 20 bin.
Und er nennt mich Weise (Ja, ich bin stolz darauf, dass einer der führenden Wissenschaftler in der Blutkrebs Forschung, der gerade auf dem Weg zu einer Konferenz mit 40 anderen Research Centers ist, mich in dieser Art und Weise lobt).

Die Frau kam zwischendurch wieder und war begeistert, dass wir noch immer reden. Er hatte uns vorgestellt, leider habe ich ihren Namen wieder vergessen.

Wir haben über sechs Stunden miteinander geredet. Beinahe den ganzen Flug über.

Über viel mehr als hier Platz ist. Auch über Jagen und das wertschätzen von Tieren und Natur, über Massentierhaltung und Sklaverei, über Menschenausbeutung und kulturelle Anpassung. Über Flüchtlinge und Integration, über Merkel und noch mehr.

Sechs Stunden sind eine lange Zeit.

Wir sind gelandet.

“It was nice meeting you Jakob.”
“It was a pleasure.", antworte ich. “You made the flight fly away.”





JVD

Jakob von Dörnberg 🖋️ Welcome to my personal website!

Page viewed … times.